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daß es mir dann gelingt, in meinen früheren Stand zurückzukehren. Darum bitt ich, laßt mich ziehen!“

Der Graf sah ein, daß er sie nicht mehr länger halten dürfe; darum bereitete er ein großes Festmahl und lud viele Gäste ihr zum Abschied. Manch namhafter Ritter saß bei Tisch. Sie alle feierten sie mit Trinksprüchen und Gedichten.

Der Graf konnte seiner Rührung nicht mehr Meister werden, und auch die Sklavin verneigte sich schluchzend. Dann verließ sie heimlich die Tafel, und kein Mensch hat je erfahren, wo sie hingegangen.


90. Yang Gui Fe

Der Kaiser Ming Huang aus dem Hause Tang hatte zur Lieblingsfrau die berühmte Yang Gui Fe. Sie bezauberte ihn so durch ihre Schönheit, daß er alles tat, was sie wollte. Sie brachte ihren Vetter an den Hof, der ein Spieler und Trinker war, so daß sich um seinet willen ein Murren gegen den Kaiser erhob. Schließlich brach ein Aufstand aus, und der Kaiser mußte fliehen. Er floh mit seinem ganzen Hof nach dem Vierstromland.

An einem Passe aber meuterten seine eigenen Truppen. Sie schrien, der Vetter der Yang Gui Fe sei an allem schuld, man müsse ihn töten, sonst gingen sie nicht weiter. Der Kaiser wußte keinen Rat. Der Vetter wurde ausgeliefert und von den Soldaten umgebracht. Noch waren diese nicht zufrieden:

„Solange Yang Gui Fe am Leben ist, wird sie alles tun, um den Tod ihres Vetters zu rächen; auch sie muß sterben!“

Schluchzend flüchtete sie zum Kaiser. Der weinte bitterlich und wollte sie beschützen; doch die Soldaten tobten immer wilder. Schließlich wurde sie von einem Eunuchen an einem Birnbaum aufgehängt.

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_275.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)