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weinte die Frau bitterlich, und als sie ausgeweint hatte, begruben sie den Leichnam. Dann gingen sie zusammen weiter nach der Heimat des Mannes. Dort trafen sie die alte Mutter noch am Leben. Sie nahmen nun ihre Perlen und Kostbarkeiten hervor, kauften ein gutes Stück Land, bauten ein schönes Haus und wurden reich und angesehen in der ganzen Gegend.


80. Das treue Mädchen

Unter den Wilden im Süden gibt es sehr viele Stämme. Da gibts die Hui, die Li, die Yau, die Babesifu und viele andere. In Kuangsi haben sie dreiundachtzig Niederlassungen. Die stärksten aber sind die Li. Unter ihnen nun herrscht die Sitte, daß wenn ein Mädchen mannbar wird, man für sie immer erst einen vorläufigen Ehemann ins Haus nimmt. Nach ein paar Monaten bekommt der Mann dann Aussatz oder sonst einen üblen Ausschlag, und man schickt ihn weg. Dann erst wird mit einer angesehenen Familie desselben Stammes eine eigentliche Ehe vereinbart. Das nennt man: den Aussatz übertragen. Wenn das nicht geschieht, so wird das Mädchen selber krank. Darum ist es nicht möglich, für ein Mädchen, das ihren Aussatz noch nicht auf diese Weise übertragen hat, einen richtigen Ehemann zu finden.

Es war einmal ein junger Mann in Kuilin. Der stammte aus einer reichen Familie. Da jedoch sein Lehrer ihm allzu strenge auf die Finger sah und auch sein Vater ihn zu Zeiten strafte, hielt ers nicht länger aus und lief von Hause fort. Er verirrte sich und kam in eine Niederlassung von Wilden und bat um Essen. Da war ein alter Mann, der hatte Mitleid mit dem Jungen, rief ihn nach seinem Hause und gab ihm reichlich Wein und Speise.

Dann sprach er zu ihm: „Ihr scheint mir nicht so ein gewöhnlicher

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_236.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)