Seite:Wilhelm ChinVolksm 160.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ihm zurück. So fiel er in den Hinterhalt. Pauken und Trommeln ertönten zugleich. Von allen Seiten schloß sich der Kreis, und das Heer der Räuber erlitt eine große Niederlage. Wie Hanfstengel lagen die Toten umher; doch gelang es dem kleinen Tschauna, durchzubrechen. Ich schickte leichte Reiterei ihm nach, die ihn vor dem feindlichen Feldherrnzelt ergriff. Eiligst sandte ich der Prinzessin Nachricht. Vor ihrem Palaste nahm sie die Gefangenen entgegen. Alles Volk, hoch und niedrig, strömte herbei, ihr Glück zu wünschen. Der kleine Tschauna sollte auf dem Markte hingerichtet werden. Da kam unversehens ein reitender Bote daher mit einem Befehl vom Vater der Prinzessin, man solle ihm verzeihen. Die Prinzessin wagte nicht, den Gehorsam zu weigern. So entließ sie ihn in seine Heimat, nachdem er vorher feierlich allen frevlen Gedanken abgeschworen hatte. Ich wurde für meinen Sieg mit Gnaden überhäuft. Ein Lehensgut mit dreitausend Bauern wurde mir zugewiesen. Ich erhielt einen Palast, Wagen und Pferde, alle Arten von Kleinodien, Knechte und Mägde, Gärten und Wälder, Fahnen und Rüstungen. Und auch die Unterführer wurden nach Verdienst belohnt. Am andern Tage ward ein Festmahl gehalten, zu dem auch die edlen Frauen, die auf Besuch waren, sich einfanden. Bis tief in die Nacht dauerte das Trinkgelage. Die Prinzessin füllte eigenhändig ihren kostbaren Becher, ließ ihn durch eine Dienerin mir überbringen und sprach zu mir: ‚Frühe verwitwet, widersetzte ich mich dem Willen meines strengen Vaters und floh vor ihm an diesen Ort. Da bedrängte mich der Schurke Tschauna und hätte beinahe Schmach und Schande über mich gebracht. Wenn nicht Eures Herrn große Güte und Eure Tapferkeit mir zu Hilfe gekommen wären, so wäre mir das Los jener Königstochter zugefallen, die, gewaltsam zum Weibe genommen, stumm blieb bis an ihr Lebensende.‘ Dann fing sie an sich zu bedanken, und vor Rührung rollten ihr reichliche Tränen nieder. Ich verneigte mich

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_160.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)