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ein Schloß kamen. Dort ward ich gebeten, abzusteigen und die Kleider zu wechseln, um vor die Prinzessin zu treten. Die Prinzessin wollte mich als ihren Gast empfangen. Ich hielt die Ehre für zu hoch und begrüßte sie unten an den Stufen. Sie aber lud mich ein, bei ihr im Saale Platz zu nehmen. Aufrecht saß sie da von unvergleichlicher Schönheit, umgeben von geschminkten Dienerinnen in reichem Schmuck. Sie schlugen die Saiten und bliesen auf Flöten. Eine Schar von Dienern stand umher mit goldenen Gürteln und purpurnen Quasten, der Befehle gewärtig. Unzählbare Scharen standen vor dem Palast. Fünf, sechs Besucherinnen saßen im Kreise um die Prinzessin, und ein Feldherr führte mich auf meinen Platz. Die Prinzessin sprach zu mir: ‚Ich habe Euch hergebeten, um Euch die Führung meines Heeres zu übergeben. Wenn Ihr die Kraft meines Feindes brecht, will ich Euch reichlich belohnen.‘ Ich sagte Gehorsam zu. Da wurde Wein herbeigeschafft und unter den Klängen der Musik das Mahl aufgetragen. Unter dem Essen kam ein Bote: ‚Der Räuber Tschauna ist mit Zehntausenden zu Fuß und zu Pferd in unserm Lande eingebrochen und naht sich auf verschiedenen Straßen unserer Stadt. Rauch und Feuersäulen zeichnen seinen Weg.‘ Die Gäste alle entfärbten sich vor Schreck, als sie die Nachricht hörten. Und die Prinzessin sprach: ‚Das ist der Feind, um dessentwillen ich Euch gebeten. Rettet mich aus meiner Not!‘ Dann gab sie mir zwei Schlachtrosse, einen goldenen Panzer und die Abzeichen des Feldherrn und verneigte sich vor mir. Dankend ging ich von ihr, berief die Führer, ließ das Heer antreten und zog vor die Stadt. An einigen entscheidenden Punkten legte ich Truppen in den Hinterhalt. Schon nahte sich der Feind mit großer Macht, unbesorgt und leichten Sinns, berauscht von seinen früheren Siegen. Ich schickte erst die untüchtigsten meiner Soldaten voran, die sich schlagen ließen, um ihn heranzulocken. Leichtbewaffnete traten ihm dann entgegen und zogen sich plänkelnd vor

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_159.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)