Seite:Wilhelm ChinVolksm 144.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

gefüllt. Wenn man darin ein Schlänglein erblickt, so ist der Flußkönig da. Die Priester schlagen dann die Glocke und rühren die Pauke und lesen aus den heiligen Büchern vor. Sofort wird dem Beamten Nachricht überbracht, und er bestellt eine Schauspielertruppe. Vor Beginn des Spiels steigen die Schauspieler zum Tempel empor, beugen ein Knie und bitten den König, ein Spiel zu bezeichnen; dann sucht der Gott eines aus und deutet mit dem Kopf darauf. Sonst schreibt er wohl auch mit dem Schwanze Zeichen in den Sand. Die Schauspieler beginnen dann sofort mit dem gewünschten Stück.

Er fragt nicht nach Glück und Unglück der Menschen. Plötzlich kommt er, plötzlich geht er, wie es ihm gefällt.


Es war einmal ein Bauer, der ging mit seinem Schubkarren auf den Markt. Plötzlich erschien der Flußkönig auf dem Strohhut des Bauern, ohne daß dieser es merkte. Die Leute, die ihm auf der Straße begegneten, riefen ihm zu und verneigten sich vor dem Gott. Darauf wurde der Strohhut in den Tempel gebracht und ein Schauspiel gegeben.

Zwischen dem äußeren und dem inneren Damm des gelben Flusses sind viele Ansiedlungen. Oft kommt es nun vor, daß das gelbe Wasser bis an den Rand der inneren Wälle geht. Senkrecht aufgerichtet wie eine Mauer, so rückt es allmählich vor. Wenn die Leute es sehen, so verbrennen sie schleunigst Weihrauch und verneigen sich betend gegen das Wasser und versprechen dem Flußgott ein Schauspiel. Dann zieht das Wasser sich zurück, und es geht die Rede: „Der Flußgott hat wieder ein Schauspiel verlangt.“

In jener Gegend steht ein Dorf. Da wohnte einst ein reicher Mann. Der baute rings um das Dorf eine steinerne Mauer, zwanzig Fuß hoch, um das Wasser abzuhalten. Er glaubte nicht an die Flußgeister, sondern verließ sich auf die feste Mauer und war ganz unbesorgt.

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_144.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)