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Mutter zum Abendessen gerufen hatte. Er kaufte ihn seinen Eltern ab für dreißig Lot Silber, und am andern Tag wurde Stauer mit hinausgenommen an den Fluß. Man warf ihn in das Wasser, und Tausende von Arbeitern mußten sofort Erde darüber schütten. Im Augenblick hatte sich die Öffnung im Damm geschlossen und die Strudel beruhigt. Dann aber sah man mitten im Fluß eine ungeheure Hand hervortauchen, die war wohl ein paar Klafter lang. Die Menge der Arbeiter schrie vor Entsetzen auf. Der Flußaufseher aber und seine Beamten warfen sich auf die Knie und beteten an. Daraufhin wurde der Knabe zum Flußgott ernannt.


Vor etwa hundert Jahren riß der gelbe Fluß abermals ein Loch in die Dämme. Dem Flußaufseher wurde zur Strafe sein Rangknopf genommen, und er ward verurteilt, den Damm wieder auszubessern. Aber die Öffnung schloß und schloß sich nicht. Der Mann war treu und ehrlich und beaufsichtigte Tag und Nacht die Arbeit. Immer, wenn man gerade dabei war, die letzte Öffnung zuzuschütten, da sank der Damm wieder zusammen, und das Wasser brach aufs neue durch. Starr stand der Beamte daneben, ohne sich zu regen. Seine Diener mußten ihn beim Arme nehmen und nach Hause führen.

Es war Abend geworden, und die Flußarbeiter hatten sich zerstreut. Da schlich er sich heimlich aus dem Hause und stürzte sich in den Fluß. Seine Diener eilten ihm nach, erreichten ihn jedoch nicht mehr. Am Tag darauf schloß sich der Dammbruch. Die Tat ward später bei Hofe bekannt, und der Beamte ward zum Feldherrn des gelben Flusses ernannt.


Die Flußgeister lieben es, Schauspielen zuzusehen. Jedem Tempel gegenüber ist eine Schaubühne errichtet. In der Halle steht das Geistertäfelchen des Flußkönigs, auf dem Altar davor eine kleine Goldlackschale mit reinem Sand

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_143.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)