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füttern; aber es schnüffelte nur daran und ließ sie liegen. Dann sprang es auf das Bett und suchte in den Nähten der Kleider einige Nisse und Läuse, die es auffraß. Dann kam es wieder zurück und legte sich nieder. Als die Nacht vergangen war, da fürchtete der Scholar, es möchte weggelaufen sein; aber es lag noch zusammengerollt da wie vorher. Immer wenn er schlafen ging, stieg es auf sein Bett und biß alles Ungeziefer tot, das es finden konnte. Keine Fliege oder Mücke wagte mehr, sich niederzulassen. Der Scholar liebte es wie ein Kleinod.

Einmal aber war er bei Tage eingeschlafen, und das Hündchen hatte sich ihm zur Seite verkrochen. Er erwachte, drehte sich um und stützte sich dabei auf seine Hüfte. Da fühlte er etwas und fürchtete, es könnte sein Hündchen sein. Schleunigst stand er auf und sah nach; aber es war schon tot und plattgedrückt wie aus Papier ausgeschnitten.

Doch von dem Ungeziefer war auch nichts mehr übriggeblieben.


51. Der Drache nach dem Winterschlaf

Es war einmal ein Gelehrter, der las im oberen Stockwerk seines Hauses. Es war ein wolkiger Regentag und trübes Wetter. Da sah er ein kleines Ding, das leuchtete wie ein Glühwurm. Es kam auf den Tisch gekrabbelt. Wo es gegangen war, hinterließ es schwarze Brandspuren, gekrümmt wie die Spuren eines Regenwurms. Allmählich schlängelte es sich auf das Buch, und auch das Buch wurde schwarz. Da fiel ihm ein, daß das wohl ein Drache sein könnte. Darum brachte er es auf dem Buche vor die Tür hinaus. Er stand eine gute Weile da; aber es blieb aufgeringelt sitzen, ohne sich im mindesten zu regen.

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_140.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)