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sich zu verletzen. Man brachte ihn nach Hause zurück; doch blieb sein Haar an den Stellen, wo das Ungetüm zugepackt hatte, steif und unbiegsam. Nach einem halben Jahre erst wurde es wieder besser.


48. Der Rossberg-Geist

Am Fuß des Rossbergs ist ein Dorf. Da war ein Bauer, der vom Getreidehandel lebte. Alle fünf Tage ging er in den Flecken östlich vom Dorf auf den Markt. Jener Markt war etwa eine Meile weit und von dem Dorfe durch einen Felsrücken getrennt.

Eines Tages kam er etwas betrunken vom Markte heim. Er ritt auf seinem Maultier und kam eben bei dem Felsrücken vorüber, als er plötzlich an einem Bach ein Ungeheuer sitzen sah. Sein riesiges Gesicht war blau, und die Augen traten aus dem Kopf hervor wie bei einer Krabbe. Sie leuchteten mit funkelndem Schein. Das Maul klaffte ihm bis an die beiden Ohren und sah aus wie eine Schüssel voll Blut. Darinnen standen in dichtem Gewirr zwei, drei Zoll lange Zähne. So hockte es am Bach; es hatte sich eben niedergebeugt und schlürfte Wasser. Man hörte ganz deutlich, wie das Wasser gluckste.

Der Bauer erschrak entsetzlich. Zum Glück hatte ihn das Ungetüm noch nicht gesehen. Das machte er sich zu nutze und schlug den Umweg ein, der am Nordhang des Felsens vorbeiführt. Dieser Weg ist eben, aber etwas weiter. Die Leute aus dem Dorf benützten ihn, wenn sie Schubkarren zu schieben hatten. Der Bauer gab seinem Maultier die Peitsche und galoppierte, so schnell er konnte.

Als er eben um die Ecke bog, da hörte er jemand hinter sich rufen: „Nachbar, wartet auf mich!“

Er blickte sich um, da war es sein Nachbarsohn. Er machte Halt und wartete.

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_134.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)