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und ließ Hu Di sich drin bespiegeln. Der blickte lange hinein. Von frühester Jugend ab bis zur Zeit, da er erwachsen war, alles, was er getan hatte, ob er auch nur ein Mückchen getötet oder eine Ameise zertreten oder aber die kleinste gute Tat vollbracht hatte, auch was er im dunklen Kämmerlein einsam mit sich selbst gesprochen hatte: nichts, das nicht im Spiegel zu sehen war.

Der König sprach: „Das ist der Sündenspiegel. Die Menschen können mich über Gut und Böse, das sie getan, nicht betrügen.“

Dann befahl er einem Teufel, den Hu Di auf eine hohe Terrasse zu führen, darauf stand geschrieben: Der Blick auf die Unsterblichen. Wenn man in die Höhe blickte, so sah man die Himmelsstadt mit ihren Türmen und Hallen aus Nephrit. Mitten drin sah er den Yüo Fe und seinen Sohn; beide schritten auf Wolken und waren bekleidet mit purpurnen Hüten und Drachengewändern und trugen weiße Nephritzepter in der Hand, und Wächter gingen ihnen zur Seite mit Federn und Speeren, mit Trommeln und Posaunen, und Berittene folgten ihnen hinten nach. So schritten sie einher wie die Könige. Um den Scheitel hatten sie einen runden Schein, der strahlend die Augen blendete.

Der Teufel sprach: „Das ist Yüo Fe und sein Sohn. Sie sind schon unter die Unsterblichen versetzt, Ihr braucht Euch nicht weiter über sie zu beunruhigen, Bakkalaureus!“

Als sie von der Terrasse herabkamen, öffnete sich vor ihnen ein weiter Raum, darinnen stand ein ungeheures Rad, das mehrere Dutzend Fuß im Durchmesser hatte. Es drehte sich knarrend, und Feuerflammen blitzten rings empor. Darunter standen lange Reihen zahlloser abgeschiedener Geister. Einige von ihnen waren in kaiserliche und königliche Gewänder gekleidet, wieder andere in seidene Beamtentracht, andere in Helm und Panzer, andere mit Gold und Edelsteinen in den Händen, andere als Gelehrte, als Bauern, als Handwerker, als Kaufleute,

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_122.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)