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Mit diesen Worten raffte er seine Kleider zusammen, verließ die Halle und begab sich zu dem Kessel.

Da erhob sich der König, hielt ihn zurück und sprach: „Bakkalaureus Hu, du bist ein gerechter Mann, ich will mit dir über Yüo Fes Sache reden. Das Leben eines Menschen dauert nur einen Augenblick. Nur wer sich einen treuen, ehrfürchtigen, reinen und gerechten Namen gemacht, dem wird ewiges, himmlisches Leben zuteil. Du mußt nicht Schmerz und Freude, die den Menschen in ihrer verweslichen Hülle begegnen, für wirkliches Glück und Unglück halten! Yüo Fe war in seinem Leben treu und gut, nach seinem Tode ward er unter die lichten Götter versetzt und genießt Schlachtopfer tausend Jahre lang und Weihrauchdüfte durch hundert Geschlechter. Tsin Gui dagegen, wenn er auch reich und angesehen ist und ein geruhiges Ende findet, so sind im Himmel doch seine Übeltaten aufgezeichnet, und der Richter der Unterwelt hat schon seine Strafe notiert. Er muß die achtzehn Höllen der zehn dunklen Örter durchlaufen und alle Arten von Schmerzen erdulden. Dann kommt er wieder auf die Welt zurück als Tier, und auch in der Menschenwelt wird er bespieen und beschimpft zehntausend Geschlechter lang. So sind im Himmel, in der Hölle und auf Erden die Übeltäter verhaßt, und ihr Lohn ist wahrlich nicht gering. Du hast es wohl gut gemeint, aber doch des Himmels Sinn nicht verstanden, als du mir fluchtest.“

Als der Höllenfürst ausgeredet hatte, schwieg Hu Di. Doch war er innerlich noch immer unwillig. Da ließ jener durch den Richter das Buch des Lebens herbeibringen und gab es dem Hu Di zum Durchsehen. Da standen nun alle die Sünden und Schlechtigkeiten des Tsin Gui und die Art, wie er den Yüo Fe ins Verderben gebracht, ausführlich beschrieben.

Der König sprach: „Tsin Guis Lebensfrist ist noch nicht zu Ende. In zehn Jahren muß er sterben.“

Dann deutete er im Westen der Halle auf einen Spiegel

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_121.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)