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40. Der König von Huai Nan

Der König von Huai Nan war ein Weiser aus dem Hause Han. Da er aus königlichem Geblüte war, war er vom Kaiser mit einem Land belehnt worden. Er pflegte Verkehr mit Gelehrten; auch konnte er Zeichen deuten und die Zukunft vorhersagen. Mit diesen Gelehrten zusammen hat er das Buch verfaßt, das unter seinem Namen geht.

Eines Tages kamen acht Greise, ihn zu sehen. Alle hatten weißen Bart und weiße Haare. Der Torwart meldete sie beim König. Der König wollte sie versuchen und sandte den Torwart, ihnen den Eintritt zu erschweren. Der sprach zu ihnen: „Unser König sucht die Kunst des ewigen Lebens zu erlangen. Ihr Herren seid alt und schwach. Was könnt ihr ihm dabei helfen? Es ist unnötig, daß ihr ihn besucht.“

Die acht Alten sagten lächelnd: „So, sind wir dir zu alt? Nun, dann wollen wir uns jung machen!“ Und ehe sie zu Ende gesprochen, hatten sie sich in Knaben von vierzehn, fünfzehn Jahren verwandelt. Ihre Haarknoten waren schwarz wie Seide und ihr Gesicht wie Pfirsichblüten. Der Torwart erschrak und meldete es schleunigst dem König. Als der König es hörte, nahm er sich nicht die Zeit, erst in die Schuhe zu schlüpfen, sondern eilte barfuß hinaus, sie zu empfangen. Er führte sie in seinen Palast, ließ brokatne Teppiche ausbreiten, Betten von Elfenbein herrichten, duftende Kräuter verbrennen und Tische von Gold und Edelsteinen vor sie stellen. Dann verneigte er sich vor ihnen, wie es Schüler vor ihrem Lehrer tun, und sagte ihnen, wie er sich über ihr Kommen freue.

Die acht Knaben verwandelten sich wieder in Greise und sprachen: „Willst du von uns lernen, o König? Jeder von uns hat seine besondere Kunst. Einer kann Wind und Regen machen, Wolken und Nebel entstehen lassen, Flüsse

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_102.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)