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er fertig war, hielt er einen Kern in der Hand, nahm seine Hacke von der Schulter und grub ein Loch von ein paar Zoll. Er steckte den Kern hinein und bedeckte ihn mit Erde. Dann verlangte er von den Marktleuten Suppe, um ihn zu begießen. Ein paar Neugierige holten in einer Straßenherberge heißes Wasser, und der Bonze begoß damit den Kern. Tausend Augen waren auf die Stelle geheftet. Schon sah man einen Keim herauskommen. Allmählich wuchs er und war im Augenblick zu einem Baum geworden. Zweige und Laub sproßten hervor. Er blühte, und alsbald waren die Früchte reif: lauter große, duftende Birnen, die in dichten Mengen am Baum hingen. Der Bonze stieg auf den Baum und gab sie den Umstehenden. Im Augenblick war der Baum leergegessen. Da nahm er seine Hacke und hackte den Baum ab. Krach, krach ging es eine Weile, da war er ab. Er nahm den Baum auf die Schulter und ging mit gemächlichen Schritten weg.

Als der Bonze seinen Zauber hatte spielen lassen, da hatte auch der Bauer sich unter die Zuschauer gemischt. Mit langem Hals und stieren Augen hatte er dagestanden und seinen Birnenhandel ganz vergessen. Als der Bonze weg war, da sah er sich nach seinem Wagen um. Die Birnen waren alle fort. Da merkte er, daß, was jener verteilt hatte, seine eignen Birnen gewesen waren. Er sah näher zu, da fehlte an dem Wagen auch die Deichsel. Man konnte ganz deutlich sehen, daß sie frisch abgehackt war. Er ward aufgebracht und lief, so schnell er konnte, dem Bonzen nach. Als er um eine Ecke kam, lag das fehlende Stück der Deichsel unten an der Stadtmauer. Da merkte er, daß der abgehackte Birnbaum seine Deichsel war. Der Bonze aber war nirgend zu finden. Und der ganze Markt brach in lautes Gelächter aus.

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_084.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)