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nicht in Frieden leben, so sind sie Hesperus und Luzifer.


21. Das Mädchen mit dem Pferdekopf

In uralten Zeiten lebte einmal ein Greis, der ging auf Reisen. Niemand war zu Hause, als nur seine einzige Tochter und ein weißer Hengst. Jeden Tag fütterte die Tochter das Pferd. In ihrer Einsamkeit hatte sie Heimweh nach ihrem Vater.

So redete sie einmal im Scherz zu ihrem Pferd: „Wenn du mir meinen Vater zurückbringst, so will ich dich heiraten.“

Kaum hatte das Pferd die Worte gehört, da riß es sich los und lief weg. Es lief in einem fort, bis es an den Ort kam, wo der Vater war. Als der Vater das Pferd erblickte, war er freudig überrascht, fing es ein und setzte sich drauf. Das Pferd wandte sich zurück nach dem Weg, auf dem es gekommen war, und wieherte unablässig.

„Was hat nur das Pferd?“ dachte der Vater. „Sicher muß zu Hause irgend etwas los sein.“

So ließ er ihm denn die Zügel und ritt zurück.

Weil das Pferd so klug gewesen war, so gab er ihm reichliches Futter. Aber das Pferd fraß nichts, und wenn es das Mädchen sah, so schlug es nach ihr und wollte sie beißen. Der Vater verwunderte sich darüber und fragte das Mädchen. Die Tochter sagte ihm alles der Wahrheit gemäß.

„Du darfst keinem Menschen etwas davon sagen“, sprach der Vater, „wir könnten sonst in übles Gerede kommen.“

Dann nahm er seine Armbrust und schoß das Pferd tot. Seine Haut aber hängte er im Hof zum Trocknen auf. Dann verreiste er wieder.

Eines Tages ging die Tochter mit einer Nachbarin spazieren.

Als sie zu dem Hofe kamen, da stieß sie mit dem Fuß

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_047.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)