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Dann gab er ihm einen Zauber, und Notscha ward ans Himmelstor versetzt, wo er den Drachen erwartete. Es war noch früh am Morgen. Die Himmelstür war noch nicht geöffnet und der Wächter noch nicht zur Stelle. Aber schon kam der Drache heraufgestiegen. Notscha, der durch den Zauber unsichtbar geworden war, warf den Drachen von hinten mit seinem Reif zu Boden und begann auf ihn einzuhauen. Der Drache schalt und schrie. „Da zappelt der alte Wurm“, sagte Notscha, „und macht sich nichts daraus, wenn man ihn schlägt, ich will ihm seine Schuppen abkratzen.“ Mit diesen Worten riß er ihm seine Feierkleider auf und begann ihm unter dem linken Arm einige Schuppen abzureißen, daß das rote Blut herausträufelte. Der Drache hielt es vor Schmerzen nicht mehr aus und bat um Schonung. Aber er mußte ihm erst versprechen, daß er ihn nicht verklagen wolle, dann erst ließ er ihn los. Der Drache mußte sich nun in ein kleines grünes Schlänglein verwandeln, das tat Notscha in seinen Ärmel und kam damit nach Hause zurück. Kaum hatte er das Schlänglein aus seinem Ärmel gezogen, da verwandelte es sich in Menschengestalt. Der Drache schwor dem Li Dsing fürchterliche Rache und verschwand in einem Blitzstrahl.

Li Dsing war auf seinen Sohn ernstlich böse. Darum schickte die Mutter den Notscha nach hinten, damit er seinem Vater aus den Augen komme. Notscha verschwand zu seinem Meister, um ihn zu fragen, was er tun solle, wenn der Drache wieder komme. Der gab ihm einen Rat, und Notscha kehrte nach Hause zurück. Da waren auch schon die Drachenkönige aller vier Meere versammelt und hatten schreiend und lärmend seine Eltern gebunden, um sich an ihnen zu rächen. Notscha sprang herbei und rief mit lauter Stimme: „Was ich getan habe, will ich selber büßen. Meine Eltern trifft keine Schuld. Was verlangst du von mir für eine Genugtuung?“ – „Leben um Leben!“ rief der Drache. „Gut, ich will mich selber zerstückeln.

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_040.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)