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Die zog er nun hervor und sprach zum Priester: „Noch ist ein Knochen übrig. Was soll man damit tun?“

Der Priester nahm den Knochen, umgab ihn mit Lehm und Erde, blies ihn an wie das letztemal, und es entstand ein Männlein, das Klein-Vorteil ähnlich sah, nur war es größer an Gestalt.

„Der heißt die Große Pflicht“, sagte er zu ihm; „wenn du dich an ihn hältst, wird er dir stets zur Hand sein.“

Der Sohn nahm die Mutter wieder auf den Rücken, und die Große Pflicht ging hinter ihm her.

Als er zum Tore des Gehöftes kam, da sah er seinen jüngeren Bruder herbeikommen, der Klein-Vorteil auf den Armen trug.

„Wo gehst du hin?“ sagte er zu ihm.

Der Bruder sprach: „Klein-Vorteil ist ein Götterwesen, das nicht dauernd unter Menschen wohnen mag. Er will wieder in den Himmel fliegen, und ich gebe ihm das Geleite.“

„Gib Klein-Vorteil doch mir! Laß ihn nicht gehen!“ sagte der Ältere.

Aber ehe er ausgeredet hatte, erhob sich Klein-Vorteil in die Lüfte. Der ältere Bruder ließ nun eilig die Mutter auf den Boden fallen und streckte die Hand aus, um Klein-Vorteil zu erhaschen. Aber es gelang ihm nicht, und schon erhob sich auch die Große Pflicht, faßte Klein-Vorteil bei der Hand, und beide zusammen stiegen zu den Wolken auf und verschwanden.

Da stampfte der ältere Bruder auf den Boden und sagte seufzend: „Ach! Weil ich nach dem kleinen Vorteil gierig war, habe ich die große Pflicht versäumt.“

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_009.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)