Seite:Wilbrandt Einleitung des Herausgebers.pdf/1

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Einleitung des Herausgebers

Lichtenberg ist im wahrsten und schönsten Sinn einer der klassischen Schriftsteller der Deutschen; aber wer kennt ihn denn? Sowie man die Heerstraße der Gelehrsamkeit, der Fachbildung verläßt, findet man wenige wirkliche Lichtenberg-Kenner mehr. Was ist daran schuld? Für die große Menge wohl dies, daß er nicht irgend ein Hauptwerk zurückgelassen hat, das jedem als Bestandteil unsrer klassischen Litteratur gepredigt, in dem die Persönlichkeit des Mannes sofort gesehen, begriffen und genossen werden kann. Dringt jemand dennoch in Lichtenbergs gesammelte Werke ein, so verwirrt ihn in dieser Vielzahl von Bänden leicht die Masse des gleichsam zersprengten, wie von Steinklopfern zerschlagenen Stoffs; die Vermengung des Veralteten mit dem Lebendigen, des für den Tag Geschriebenen mit dem Unsterblichen, des Unbedeutenden mit dem Außerordentlichen. Die Herausgeber von Lichtenbergs Schriften, sein Bruder, dann seine Söhne, von berechtigter Pietät geführt, doch wohl auch verführt, haben sowohl in seine nachgelassenen „Bemerkungen vermischten Inhalts“, wie in die „Fragmente“, dann in die übrigen „Vermischten Schriften“, endlich auch in die „Briefe“ manches Vergängliche, Geringere aufgenommen, das der, welcher Lichtenberg ganz erkennen will, ihnen danken wird; aber sein Anrecht, ein volkstümlicher Schriftsteller seiner Nation zu werden, ging ihm so verloren.