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durch den wunderbaren Anblick, der sich ihr darbot.

Langsam und feyerlich kam eine Reihe von Schiffen den Rhein herunter geschwommen, angefüllt von Rittern und Knappen, die glänzende Rüstungen und stolze hoch in der Luft wehende Fahnen trugen. An ihrer Spitze aber schwamm ein einzelner kleiner Nachen; der wurde gezogen von einem großen, schönen, schneeweißen Schwane, an einer glänzenden goldenen Kette, und in demselben stand nur Ein Ritter, von sehr hoher schlanker Gestalt, in goldener Rüstung, das Visir seines Helmes aufgeschlagen, so daß man in ein Gesicht sah, in dem Frische und Milde und Anmuth der Jugend mit der Kraft und Vollendung des Mannesalters und mit einer mehr als irdischen Hoheit auf das wundersamste gepaart war. Es war Elias Grail, der neue Herrscher.

Unbeweglich hafteten alle Augen an der herrlichen Erscheinung; auch Beatrix konnte die ihrigen nicht davon abwenden, und sie fühlte ihr Herz von einer bald schneidenden und bald wieder erhebenden Wehmuth durchzogen, als der junge Held jetzt an das Land stieg, seinen Schwan selbst von der goldenen Kette lösete, und nun mit einem lauten, lang wiederhallenden Freudengeschrey von seinen neuen Unterthanen empfangen wurde. Im Triumpfe wurde er in die Burg geführt. Beatrixens Herz klopfte höher, als sie ihn die Stiegen heraufkommen hörte; sie gerieth in unbeschreibliche Verwirrung, wenn sie bedachte, daß die Ritterfrauen jetzt bald sie abholen würden, um sie in ihre Mitte zu nehmen, und sich dem neuen Herrscher vorzustellen. Wirklich geschah dieß bald. Aber alle Angst und Verlegenheit

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H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_138.png&oldid=- (Version vom 29.12.2019)