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Vergebens sann der Gefangene auf Mittel sich zu befreyen; seine feindselige Stiefmutter hatte ihre Maßregeln zu gut getroffen, weder List noch Gewalt konnte ihn retten. Mochte er toben, wüthen, verzweifeln, nichts half.

Da erschien – erzählt die Sage – in einer Nacht an seinem Lager ein Jüngling, der war fremd, aber schön und glänzend anzusehen. Dieser nahm seine Hand und gebot ihm, aufzustehen und ihm zu folgen, indem er ihn befreyen wolle. Der gefangene Herzog sah ihn voll Verwunderung an, aber er trauete ihm, erhob sich und folgte ihm; und wie sich wunderbarer Weise vor dem Jünglinge die Thore öffneten und die Zugbrücken niederließen, so schritten sie sonder Gefähr und sonder Anstand aus dem Gefängnisse und aus der Burg, und kamen an das Ufer des Rheins. Hier war ein Nachen angelegt, neben dem ein schneeweißer Schwan Wache hielt. Das Thier erhob sich, als sie sich naheten, und rauschte hoch auf mit seinen Flügeln, seinem Herrn entgegen. Der fremde Jüngling ließ seinen Befreyeten in den Nachen steigen, und stieg dann selbst hinein, und der Schwan zog jetzt an einer güldenen Kette den Nachen weiter, den Strom hinauf.

Sie kamen zu Carls Freunden und Anhängern, die sie mit lauter Freude empfingen. Schnell wurde Carl Martell zum Major Domus ausgerufen, schnell schlossen alle Tapferen, alle Freunde seines verstorbenen Vaters sich an ihn an, und wenige Monate reichten hin, seine beiden Feinde zu unterwerfen; namentlich wurde Raginfred[WS 1] in der Schlacht bey Cambray besiegt. Carl setzte sich jetzt in den Würden seines Vaters fest,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ragirfred
Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_134.png&oldid=- (Version vom 29.12.2019)