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148. Das „Geduld-Häuschen“ bei Königsbrück.

Dicht bei der Stadt Königsbrück befinden sich am linken Ufer der Pulsnitz die Glauschnitzer Wiesen. Hier liegt an der alten Pulsnitz ein einsames Gebäude, das „Geduld-Häuschen“ genannt. Dasselbe wurde im Anfange des 18. Jahrhunderts vom Herrn v. Schleinitz, einem früheren Besitzer des Rittergutes Glauschwitz, erbaut und stand ursprünglich auf der Höhe vor der Stadt Königsbrück. Hier wohnte nun der gestrenge Wiesenvogt, dem die Aufsicht über jene Wiesen übertragen war. Man nannte das Gebäude das Wiesenvogthaus. Der damaligen Besitzerin der Standesherrschaft Königsbrück, der Freifrau von Schellenberg, war das Wiesenvogtbaus droben auf dem Berge ein Dorn im Auge. Sie widersetzte sich dem Bau des Hauses, indem sie behauptete, das Wiesenvogthaus nehme ihr die Aussicht vom Schlosse. Freifrau v. Schellenberg strengte einen Prozeß gegen Herrn v. Schleinitz an. Dieser Rechtsstreit währte viele Jahre. Er endete aber damit, daß Herr v. Schleinitz den Befehl erhielt, das Wiesenvogthaus droben auf dem Berge abzubrechen und unten an der alten Pulsnitz aufzubauen. Und solches geschah auch. Das Wiesenvogthaus wurde abgebrochen und unten im Tale neu aufgebaut. Hier duldete es nun die gestrenge Freifrau von Schellenberg. Weil Herr v. Schleinitz infolge des langjährigen Prozesses in Geduld sich fassen mußte, so nannte man jenes Gebäude, den Gegenstand und Urheber eines langjährigen Prozesses, der alle Behörden in Tätigkeit setzte, das „Geduld-Häuschen“. Und dieser Name ist bis zum heutigen Tage erhalten geblieben.

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_356.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)