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durchflutende Wasser zu fassen. In früheren Jahren wäre das wohl nicht so weit gekommen. Da hatte die Brücke nach dem Schlosse zu noch zwei Bogen mehr und der Strom daher einen freieren Lauf. Allein der Bau der katholischen Hofkirche bedingte die Verschüttung dieser zwei Bogen, damit der Platz zwischen der Brücke und der genannten Kirche größer werde.

Vormittags gegen 9 Uhr war die Flut am stärksten, und von einem Elbmesser war nichts mehr zu sehen. Die Brücke selbst wurde nun von der großen Gefahr bedroht. Die Bewohner von Alt- und Neustadt befürchteten einen Zusammenbruch der Brücke, und jedermann suchte daher seine Behausung so schnell wie möglich auf, da eine Trennung der beiden Stadtteile nicht nur möglich, sondern auch sehr wahrscheinlich war. – Man schrieb den 31. März und es war gerade Markttag. Der Verkehr war deshalb ein erhöhter. Er wäre freilich noch viel bedeutender gewesen, wenn die Bewohner der an der Elbe liegenden Dörfer hätten herbeikommen können. Zum Glück war zwischen 9 und 10 Uhr die Augustusbrücke nicht sehr begangen; denn um 10 Uhr vermochte die felsenfeste Brücke den sie erschütternden und bedrängenden Wogen nicht länger mehr Widerstand zu leisten. Der höchste, etwas vorstehende Pfeiler, der sonst die Mitte der Brücke bildete, trug ein hohes metallenes Kreuz mit dem Bildnis des Erlösers. Dasselbe war stark mit Gold überkleidet und war eine Zierde der Brücke. Die an seinem Fuße angebrachten Inschriften erinnerten an verhängnisvolle Tage der Stadt Dresden. An diesen Pfeiler war vor Jahren ein Vorsprung angebaut worden. In demselben befand sich eine kellerartige Vertiefung zur Aufbewahrung des Sandes. Wahrscheinlich war das Wasser in diese Vertiefung eingedrungen und hatte dadurch den erwähnten Brückenpfeiler unterwaschen. Nun konnte dieser den wütenden Wogen nicht länger Widerstand leisten. Gegen 10 Uhr wankte und zitterte er, und es zeigte sich plötzlich ein bedeutender Riß an ihm. Da wankte plötzlich das hohe, strahlende Kreuz, stürzte um und versank in der brandenden Flut auf Nimmerwiedersehen. Nur die hohle Metallkugel, die sich am Fuße des Kreuzes befand, schwamm auf der Wasserfläche und wurde bei Uebigau aufgefangen. Von dem hohen Pfeiler lösten sich gewaltige Quadersteine ab und versanken ebenfalls. Zur Hälfte stürzten Pfeiler und Bogen zusammen. Das Entsetzen war groß. Man befürchtete, der Strom werde nun weiterreißen und vielleicht die ganze Brücke vernichten. Doch diese Befürchtung erfüllte sich nicht. Ja, man nahm ein Wunder wahr! In der Nähe des erwähnten Kreuzes stand ein Schilderhaus und daneben der wachthabende Soldat, Schmeitzner mit Namen, auf seinem Posten. Da sah man das Schilderhaus hinab in die Flut sinken. Der Soldat aber, der seinen Posten pflichttreu nicht verließ, wurde von höherer Hand geschützt und blieb erhalten. Es wäre um ihn geschehen gewesen, wenn der Stein, auf dem er stand, auch mit in die Flut hinabrollte.

Nach wenigen Stunden bemerkte man endlich ein Fallen der Flut, und alle atmeten erleichtert auf. Der Wendepunkt in der Gefahr war eingetreten. Das Begehen der Brücke war gerade nicht unmöglich, freilich es mußte dies mit der größten Vorsicht geschehen. Obrigkeitliche Vorsicht untersagte jedoch strengstens das Beschreiten der Augustusbrücke. Erst im Verlauf des späteren Nachmittags wurde es gestattet, dieselbe wieder zu betreten, nachdem man sie einer genauen Prüfung unterzogen hatte. Die Flut sank von Stunde zu Stunde. Am Morgen des 1. April grüßte die Sonne freundlich über die Berge herein und erfüllte die so sehr geängsteten Herzen mit neuer Hoffnung. Nach einigen Tagen war die Elbe wieder in

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_334.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)