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entfernt werden. Aber sicherlich würde die Untersuchung nicht ergebnislos sein. Etwaige Funde könnten uns willkommenen Aufschluß geben und mancherlei Kunde bringen aus der Vorzeit des Hochsteins.

In früheren Jahrhunderten nannte man jenen Felsenaltar droben auf dem Hoch- oder Sibyllensteine den weißen Stein, und das nicht mit Unrecht; denn weithin ist der turmhohe Felsen wegen des hellfarbigen Granits sichtbar. Er erscheint in der Ferne in einem hellen, weißen Gewande. In einer Grenzurkunde vom Jahre 1213 ist der Hochstein als der weiße Stein bezeichnet. – Als Opferherd hat sich der Felsenaltar auf dem Sibyllensteine wie kaum eine andere Höhe geeignet; denn das Opferfeuer auf dem Gipfel des Felsens konnte aus meilenweiter Entfernung gesehen und beobachtet werden. Die Umwohner, welche nicht mit hinauf nach dem weißen Steine wallfahrten konnten, erkannten doch an dem zum Himmel auflodernden Opferfeuer, wann die Stunde der Opferung begann. – Nach der Sage haben sich die altheidnischen Gottheiten, welche vormals auf der Felsenhöhe des Sibyllensteines verehret wurden, in das Innere des Berges zurückgezogen. Sie zürnen den Umwohnern darüber, daß dieselben unter das Kreuz sich beugten und Christen geworden sind.

Ihr Grollen hierüber kann man zu Zeiten auch heute noch vernehmen. An manchen Tagen hört derjenige, der oben auf dem Sibyllensteine weilt, ein heftiges Donnern, das tief aus dem Innern des Felsenaltares dringt. Mancher, der dieses Donnern im Berge vernommen hat, ist heftig darüber erschrocken und davongeeilt. Andere wieder glaubten, ein Gewitter sei im Anzuge, obwohl nirgends ein Wölkchen am Himmel zu entdecken war und die Sonne freundlich niederschien. Ueber das Gehörte verwundert, verließen auch sie den Berg. Besonders unheimlich klingt das Donnern in jenem Felsenlabyrinthe des Sibyllensteines zur Nachtzeit. Freilich nicht jeder geht zu später Stunde gern hinauf auf diesen Berg. –

Das Donnern im Innern des Sibyllensteines findet aber eine ganz natürliche Erklärung. Man vernimmt jenes vielen rätselhafte Rollen nur an solchen Tagen, an welchen der Sturm von W. oder O. her über die Höhe braust und an den turmhoch aufgebauten Felsenmassen sich bricht und durch die einzelnen höhlenartigen Spalten und Nischen fährt. Wenige Sekunden nach jeder Sturmeswelle ist der Donner zu vernehmen, dessen Stärke von der Beschaffenheit der betreffenden Sturmeswelle abhängig ist. Die Sage beweist uns, daß schon in den frühesten Zeiten die Umwohner das Donnern im Innern des Sibyllensteines vernommen haben und sich selbst eine Erklärung machten. – Die einst hier oben weilenden Priesterinnen deuteten das Donnern als die Sprache der Götter, denen das Volk Opfer brachte.

Was der Czernebog und der Bielebog für die östliche Lausitz sind, das ist der Sibyllenstein mit seinem Nachbar, dem Keulenberge bei Oberlichtenau, für die westliche Lausitz. Er ist ein Zeuge aus jenen Tagen, da noch die heidnischen Opferfeuer gen Himmel aufloderten, da unsere heidnischen Vorfahren ihr Leid und Weh den Göttern klagten und ihren religiösen Gefühlen Ausdruck gaben durch Wallfahrten nach dieser geweihten und heiligen Anhöhe. Der Sibyllenstein war die heiligste Kultusstätte der frühesten Bewohner der westlichen Lausitz. –

Wie vor Jahrtausenden, so wird noch heute der Hoch- oder Sibyllenstein von den Umwohnern zu Zeiten mit Vorliebe besucht. Das ist der Fall zur Osterzeit, ganz besonders aber zu Pfingsten. Da kommen aus den umliegenden Dörfern viele Leute schon vor Sonnenaufgang nach

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_243.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)