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Um die Urbarmachung haben sich die alten Deutschen freilich wenig gekümmert. Sümpfe haben sie nicht trockengelegt und Urwälder nicht entblößt. Ihr Verdienst um die hiesige Gegend besteht nur allein in der Anlegung der alten Heidenstraße. Unbekannt und unkultiviert, wie sie in diese Gegend kamen, verließen sie diese auch wieder im 4. und 5. Jahrhunderte. Erst die zweiten Bewohner unserer Heimat, die alten Wenden, legten als Freunde des Ackerbaues hier den Grund zur Landwirtschaft. Sie gewannen den Grund und Boden, auf dem sie wohnten, lieb, und aller Fleiß, den sie auf die Urbarmachung des Landes verwendeten, verriet die Absicht, dasselbe recht lange zu bewohnen und zu besitzen und es, wenn möglich, auf ihre Nachkommen zu vererben. Darum bauten sich die Wenden nicht Zelte und leichte Hütten, sondern feste Wohnungen, die sie zu kleineren und größeren Kolonien oder Niederlassungen vereinigten. Selten wohnten Wendenfamilien einsam und von den anderen abgesondert. Den Verkehr liebend und die Gesellschaft mit Stammesgenossen suchend, legten sie ihre gemeinschaftlichen Wohnplätze in der Nähe der großen Heerstraße an, die sie von den Deutschen geerbt hatten, und man braucht nur den Landstrich zu verfolgen, den die Dörfer und Städte, welche ursprünglich wendische Namen führen, bezeichnen, um die Richtung und Lage jener Straße zu finden. Je weiter aber eine Gegend von der alten Heidenstraße entfernt ist, desto seltener sind die Spuren von ehemaligen wendischen Ansiedelungen vorhanden. Demnach sind auch an dieser alten Heerstraße die ältesten Ortschaften des östlichen Sachsens zu suchen. Mit der Zeit drangen aber die Wenden auch in den zu beiden Seiten der Heidenstraße liegenden Wald ein und gründeten Niederlassungen, und es waren nun auch in den entfernteren Waldgebieten Wendenfamilien anzutreffen. Urnen, die man hier und dort aufgefunden hat, beweisen es. Nach und nach entstanden aus diesen wendischen Niederlassungen Dörfer und Städte. In jener Zeit wurde der Grund zu den meisten zwischen Bautzen und Großenhain liegenden Dörfern gelegt.

So haben wir gesehen, von welcher großen Bedeutung die alte Heidenstraße für das östliche Sachsen gewesen ist. Sie war vor Jahrhunderten der erste Verkehrsweg durch eine einst unwirtliche Gegend und ist gleichsam der Bahnbrecher zu deren Kultivierung geworden. Darin liegt ihre Bedeutung. Die alte Heidenstraße, welche Jahrhunderte hindurch dem Verkehre, dem Handel und den Heereszügen diente, ist heute mit Wald bedeckt, mit Rasen überzogen, und zum Teil hat diesen ehemaligen Verkehrsweg die schaffende Hand des Menschen in fruchtbares Ackerland umgewandelt. Nun zieht über sie hin der Pflug. Eine Gasse und der Marktplatz in Pulsnitz sollen noch Teile der alten Heidenstraße sein. Vgl. Aufsatz: „Pulsnitz!“

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_208.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)