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man hineingrub, durchnäßt und mit Wasser förmlich überladen. Allerorten brachen neue Quellen hervor. An dem Wege des oberen Kirchberges zu Großröhrsdorf, nicht weit von der Schule entfernt, der jetzigen Kantorei, schoß ein starker Wasserstrom aus dem Berge, den man in einen besonderen Graben ableiten mußte. Nachdem die Wasserflut sich verlaufen hatte, trat wiederum Regenwetter ein. Es regnete den ganzen Sommer hindurch. Das wenige Getreide, welches die Wasserfluten verschont hatten, fing an auszuwachsen; an ein Ernten war nicht zu denken, und so kam es, daß das Getreide draußen auf dem Felde verfaulte. Die Menschen wollten verzweifeln. Mit Bangen sah man dem kommenden Winter entgegen. Der Preis eines Scheffels Korn war indessen auf 9 Taler gestiegen, ein Scheffel Weizen kostete sogar 11 Taler, ebenso auch ein Scheffel Erbsen. Eine schreckliche Teuerung war die nächste Folge dieser furchtbaren Überschwemmung und des nassen Sommers. Im Juli 1805 kostete ein Scheffel Korn schon über 18 Taler. Ein Lot Brot mußte mit zehn Pfennigen bezahlt werden, und für so vieles Geld waren noch selten Korn und Brot zu haben. Auf den Märkten schlug man sich um das Korn, bei den Bäckern um das Brot. Ein kleines Brot kostete oft einen blanken Taler und noch mehr. Am schlimmsten waren natürlich die armen Leute daran, deren man sich damals nicht so annahm, wie solches, Gott sei Dank, heute geschieht. Aus diesem Grunde griffen die Leute zu ganz unnatürlichen Nahrungsmitteln. Man aß Gras und allerlei Kräuter, Wurzeln grub man aus der Erde und genoß diese teils roh, teils gekocht. Die hungrigen Kinder aßen das Obst von den Bäumen, das oftmals erst verblüht hatte. Bleiche und abgezehrte Gestalten schlichen umher. Die Arbeiter mußten hungrig an ihre Geschäfte gehen. Obgleich der Lohn verhältnismäßig ein hoher war, so reichte er doch kaum hin; denn ein sogenanntes „Guldenbrot“ reichte für die Person des Arbeiters allein kaum aus. In dieser schlimmen Zeit zeigte sich der damalige Kurfürst von Sachsen, Friedrich August der Gerechte, als ein rechter Landesvater. Er öffnete die Getreidemagazine und ließ Korn in das Land fahren. Die Gemeinde Großröhrsdorf im oberen Rödertale erhielt davon am 22. Juli 1805 gegen 60 Scheffel. Am 23. Juli wurde das Getreide in der Mittelschänke an die hungernden Ortsbewohner verteilt. Am 2. August erhielt die Gemeinde aus dem Kurfürstlichen Magazine noch 60 Zentner Mehl, ferner 3 Zentner Reis und abermals 26 Scheffel Korn, da auch die Ernte von 1805 infolge anhaltender Nässe mißraten war. – Ähnliche Notstände, wie im Gebiete des oberen Rödertales, herrschten in jenen Jahren auch in vielen anderen Teilen unseres sächsischen Vaterlandes. Mit Loben und Danken wurden die besseren Jahre begrüßt. Die Eltern aber erzählten später oftmals ihren Kindern von den durchlebten schlimmen Zeiten.

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_191.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)