Seite:Was die Heimat erzählt (Störzner) 113.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nördlichen Seite ein Treppenturm mit Satteldach vorgelegt. Er wird mit 2 Volutengiebeln geschlossen. Voluten sind spiralförmige Vermittelungsglieder an architektonischen Teilen, insbesondere an Konsolen und Säulenkapitälen. Der vorgelegte Treppenturm ist aber seines oberen Teiles beraubt. – Im 2. und 3. Stockwerke des Seigerturmes sind die ursprünglichen Kreuzgewölbe noch wohlerhalten. Der Hauptraum des 2. Stockwerkes war ehemals mit launigen Frescogemälden geziert, von welchen Reste deutlich zu erkennen sind. Der Seigerturm zeigt interessante Steinmetzzeichen.

Der Dachreiter des Seigerturmes enthält eine Stundenglocke, die im Jahre 1562 der Kurfürst Vater August durch Wolff Hilliger in Dresden gießen ließ. Selbige zeigt folgende Inschrift:

Jesaiae XL: Verbum Domini manet
 in aeternum. Ao. Dni. MDLXII.

Das im Seigerturm befindliche Uhrwerk wurde durch den Kgl. Hofuhrmacher Naumann in Dresden von neuem im 18. Jahrhunderte hergestellt. – Die letzte Hauptreparatur erfuhr der Seigerturm im Jahre 1714. –

Westlich vom Seigerturme, an der den hintersten Hof nördlich abschließenden Mauer, befand sich einst ein schöner Säulengang, welcher sich westlich unmittelbar an das Fürstenhaus oder den Palas anschloß, „worauf Stuben gebaut, die mit à la fresco gemalet waren. Da sich einige eben nicht sittliche Bilder in diesen Stuben befanden, so ließ man sie überweißen“. – Diese Gemälde wurden vermutlich gleichzeitig mit jenen im Seigerturm befindlichen ausgeführt. Von diesem Gange aus gelangte man nach einem jetzt völlig verschwundenen Bau, welcher der Kurfürstin Mutter Anna als Laboratorium gedient hat. Es war dieses Laboratorium das erste, welches die Kurfürstin errichtete. Von ihm aus verschickte sie die unter ihrer Leitung gefertigten Präparate an den elterlichen Hof nach Kopenhagen in Dänemark. Erst nach diesem Stolpener Laboratorium wurde das Laboratorium auf Schloß Annaberg, dem Lieblingssitze der Kurfürstin Mutter Anna, errichtet. – Die Südseite des Hofes nahmen früher kurfürstliche Wirtschafts- und Wohnräume ein, welche nebst dem Johannesturme, der dem Seigerturme schräg gegenüberliegt, der Gräfin Anna Constanze v. Cosell[WS 1] als Wohnung dienten. –

Der Seigerturm der Burg Stolpen hat also ein Alter von 400 Jahren. Er ist ein stummer Zeuge so mancher Ereignisse gewesen. Wiederholt haben auch die Flammen an ihm emporgeschlagen, doch unversehrt steht er wie vordem auf seinem Posten und weckt so manche Erinnerung aus alter Zeit. Er verdient es, daß man die bessernde Hand an ihn legt, bevor er vielleicht, vom Zahne der Zeit zernagt, auch zerfällt, wie so mancher seiner ehemaligen Nachbarn. Dank darum jenen wackeren und einsichtsvollen Männern, die für seine Erhaltung besorgt sind!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Anna Constantia Reichsgräfin von Cosel (1680–1765), Mätresse Augusts des Starken
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_113.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)