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9 Brücken. Am anderen Tage schien es, als hätten nie Brücken und Gebäude an dieser Stelle gestanden. Dazu waren noch 62 Häuser und viele Scheunen so beschädigt worden, daß man dieselben abbrechen und neu aufbauen mußte. Das Lusthaus des damaligen Pastors M. Fickler, das am Sebnitzbache auf einem ziemlich hohen Felsen stand, ward durch einen daranstoßenden Giebel aufgehoben und von seiner Stelle weggetragen und zwar gerade in dem Augenblicke, als einige Personen, die in demselben befindlichen Stühle, Tische und Bilder herausnehmen wollten. Alle Keller und sonstigen Gewölbe der Stadt waren vollständig unter Wasser gesetzt. Viele derselben waren so unterwühlt, daß sie bald einstürzten. Zu diesem an den Häusern und Straßen angerichteten Schaden kam noch der Verlust an Feldern, Wiesen und Gärten. Die gute Erde war hinweggespült und an deren Stelle Geröll und Sand geschwemmt worden. Sämtliche Mühlen waren zerstört, und die Leute mußten längere Zeit hindurch in den Mühlen zu Ottendorf und Lichtenhain mahlen lassen. Das Traurigste bei dieser Wasserflut aber war, daß nicht weniger als 5 Personen vom Hochwasser, das so urplötzlich hereinbrach, verschlungen wurden.

In dem benachbarten Nixdorf forderte die Hochflut gegen 20 Opfer. Die hier verunglückten Personen wurden mit der Flut nach Sebnitz getrieben. Mehrere Leichen blieben an den Bäumen mit aufgerissenem Leibe hängen, andere wurden bis in die Elbe getrieben und erst zwischen Dresden und Meißen an das Land gezogen. Damals entstand zur Erinnerung an das traurige Ereignis folgendes Verslein:

„Ach, spiegelt Euch an uns, Ihr Menschenkinder alle,
Wer heute steht, der seh’, daß er nicht morgen falle!
Es kann der große Gott nur durch ein Donnerkrachen
Mit Euch, gleich wie mit uns, ein plötzlich Ende machen.“ –

Der Chronist erzählt von dieser Wasserflut wörtlich noch folgendes:

„Eine rühmliche und menschenfreundliche Handlung, welche sich dabei zutrug, verdient zur Ehre der Menschheit, zum Ruhme des Täters und anderen zum Muster der Nachwelt aufgezeichnet zu werden. Als die Flut anfing, war in Meister Martin Meien’s jun. Hause niemand als seine zwei kleinen Stiefkinder und das Kindermädchen anwesend. Er selbst war verreist und die Mutter in der Betstunde. Das Wasser stieg immer höher, es stieß mit großer Gewalt an dieses Haus, das bereits gänzlich unterwaschen war, und jeden Augenblick befürchtete man, daß es den anderen nachschwimmen würde. Jedermann gibt die Kinder für verloren, aber keiner von den vielen läßt sich einfallen, hier zu zeigen, daß er Mut und Entschlossenheit genug habe, sein Leben zu wagen, um drei gefährdeten Menschen das Leben zu retten. Endlich wagt sich ein hier im Quartier stehender Unteroffizier katholischer Religion mit der größten Lebensgefahr in’s Haus. Er steigt in des Nachbars, des Fleischhauers George Hohlfeld Haus, oben durch’s Dach des bedrohten Gebäudes, in welchem die Kinder um Hilfe jammern und trägt eins nach dem andern über’s Dach in das nebenanstehende Haus. Als er eben mit dem letzten Kinde heraussteigt und fast noch mit einem Fuße in dem schon wankenden Gebäude steht, geht es unter seinen Füßen fort. Nun bricht er von einem Haus in das andere bis an das des Wunderlich. Von hier legt er über die Rathausgasse bis an das jetzige Schafrathische Haus Bretter und bringt die Kinder über die reißende Flut, und endlich klettert er von diesem Hause bis an das gegenwärtig Just’sche, über den tiefen Mühlgraben, in welchem das Wasser einen Wall von Holz aufgetürmt hatte, mit der größten Lebensgefahr auf einer

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_100.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)