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10. Eine Erinnerung an den Vater des Dichters Langbein.

Radeberg, die Stadt an der Röder, ist der Geburtsort des Dichters und Schriftstellers Langbein. Der Vater desselben war hier Justizamtmann und lebt noch in der Erinnerung der ältesten Bewohner der Stadt und ihrer Umgegend. Im Jahre 1806, am 18. März, feierte dieser sein 50jähriges Amtsjubiläum und zwar unter allgemeiner Beteiligung der Bewohner Radebergs. Dasselbe gestaltete sich zu einem wahren Volksfeste. Wenige Monate darauf beging der rüstige Greis im engeren Kreise einiger Freunde am 22. Juni desselben Jahres seine goldene Hochzeit in Tharandt. Seine Lebensgefährtin hatte ihm 15 Kinder geboren, unter diesen den späteren Dichter und Schriftsteller, der am 2. Januar 1835 in Berlin starb. Ernst Ludwig Langbein überlebte beide Feste noch 18 Jahre in dem ungestörten Genusse vollster Lebenskraft. Merkwürdig ist der Umstand, daß sein Vater 1724 die Stelle als Justizamtmann in Radeberg erhalten hatte, der Sohn aber 1824 als Justizamtmann starb.

Im Jahre 1818 wurde der Justizamtmann Ernst Ludwig Langbein in den Ruhestand versetzt, während sein Vater ein Jahrhundert früher, also im Jahre 1718, als Aktuarius in Radeberg verpflichtet worden war.

Hochinteressant ist eine Begebenheit aus dem Leben des Vaters unseres Dichters, die an das Fabelhafte grenzt und eben darum verdient, allgemein bekannt zu werden. Der Justizamtmann Langbein wollte am 2. Dezbr. 1811 mit dem Amtssteuereinnehmer Müller in Amtsangelegenheiten nach Arnsdorf fahren. Zur Gesellschaft hatte er seine jüngste Tochter Wilhelmine mitgenommen. Auf der hohen, steinernen Brücke, die bei der sogenannten „Kalten Ruhe“ vor dem Pirnaer Tore über die Röder führt, stutzten die Pferde und wollten nicht mehr weiter. Unten an der Brücke spülten die anwohnenden Gerber Leder am Ufer der Röder. Offenbar scheuten die Pferde vor dem Geruche des Leders. Als nun der Kutscher durch einige kräftige Peitschenhiebe die Pferde zum Weitergehen antrieb, sprangen diese nach der entgegengesetzten Seite über das Brückengeländer. Von dem heftigen Anprall des Wagens gibt das hölzerne Geländer nach, und der Wagen stürzt mit den darinsitzenden vier Personen von der fast 5 m hohen Brücke hinunter in die Röder, doch so glücklich, daß der Wagen auf alle vier Räder zu stehen kommt. Die Insassen waren zum Tode erschrocken, nur der alte Justizamtmann Langbein bewahrte seine Ruhe und rief dem leichenblaß gewordenen und an allen Gliedern zitternden Kutscher, der starr auf dem Kutschbocke saß und sich nicht von

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 032. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_032.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)