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RECHTSSCHUTZ FÜR UNBEMITTELTE

VERLEGER: Meine Erwartungen sind aufs schwerste enttäuscht worden. Ihre Sachen haben gar keine Wirkung beim Publikum; sie ziehen nicht im geringsten. Und ich habe an Ausstattung nicht gespart. Ich habe mich für Reklamen verausgabt. – Sie wissen, wie ich nach wie vor Sie schätze. Sie werden es mir aber nicht verdenken können, wenn nun auch mein kaufmännisches Gewissen sich regt. Wenn irgendeiner, tue ich für die Autoren, was ich kann. Aber schließlich habe ich auch für Frau und Kinder zu sorgen. Ich will natürlich nicht sagen, daß ich die Verluste der letzten Jahre Ihnen nachtrage. Aber das bittere Gefühl einer Enttäuschung wird bleiben. Zurzeit kann ich Sie leider absolut nicht weiter unterstützen.

AUTOR: Mein Herr! Warum sind Sie Verleger geworden? Das werden wir umgehend heraushaben. Vorher gestatten Sie mir aber eins: Ich figuriere in Ihrem Archiv als Nr. 27. Sie haben fünf meiner Bücher verlegt; das heißt, Sie haben fünfmal auf 27 gesetzt. Ich bedaure, daß 27 nicht rauskam. Übrigens haben Sie mich nur cheval gesetzt. Nur weil ich neben Ihrer Glückszahl 28 liege. – Warum Sie Verleger geworden sind, das wissen Sie nun. Sie hätten ebensogut einen honetten Lebensberuf ergreifen können wie Ihr Herr Vater. Aber immer in den Tag hinein – so ist die Jugend. Frönen[WS 1] Sie weiter Ihren Gewohnheiten. Aber vermeiden Sie es, als ehrlichen Kaufmann sich auszugeben. Setzen Sie keine Unschuldsmiene auf, wenn Sie alles verjeut haben; erzählen Sie nichts von Ihrem achtstündigen Arbeitstag und von der Nacht, in der Sie auch kaum noch zur Ruhe kommen. „Vor allem eins, mein Kind, sei treu und wahr!“ Und machen Sie Ihren Nummern keine Szene! Sonst wird man Sie rausschmeißen!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Fröhnen
Empfohlene Zitierweise:
Walter Benjamin: Einbahnstrasse. Rowohlt, Berlin 1928, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Walter_Benjamin_Einbahnstrasse.pdf/71&oldid=- (Version vom 12.6.2018)