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nicht bis zu einem fast berechenbaren Augenblick der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung vollzogen (Inflation und Gaskrieg signalisieren ihn), so ist alles verloren. Bevor der Funke an das Dynamit kommt, muß die brennende Zündschnur durchschnitten werden. Eingriff, Gefahr und Tempo des Politikers sind technisch – nicht ritterlich.


REISEANDENKEN

ATRANI. Die sacht ansteigende geschweifte Barocktreppe zur Kirche. Das Gitter hinter der Kirche. Die Litaneien der alten Frauen beim Ave Maria: Einschulung in die erste Sterbeklasse. Wenn man sich umwendet, grenzt dann die Kirche wie Gott selber ans Meer. Allmorgendlich bricht die christliche Ära den Fels an, aber zwischen den Mauern darunter zerfällt immer wieder die Nacht in die vier alten römischen Viertel. Gassen wie Luftschächte. Auf dem Marktplatz ein Brunnen. Am Spätnachmittag Weiber herum. Dann einsam: archaisches Plätschern.

MARINE. Die Schönheit großer Segelschiffe ist einziger Art. Denn sie sind nicht allein in ihrem Umriß durch Jahrhunderte unverändert geblieben, sondern erscheinen in der unwandelbarsten Landschaft: auf der See gegen den Horizont abgehoben.

VERSAILLES FASSADE. Es ist, als habe man dies Schloß vergessen, wo man es vor so und soviel hundert Jahren Par Ordre Du Roi nur auf zwei Stunden als das Versatzstück einer Féerie hingestellt hat. Von seinem Glanz behält es nichts für sich, es gibt ihn ungeteilt an jene

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Walter Benjamin: Einbahnstrasse. Rowohlt, Berlin 1928, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Walter_Benjamin_Einbahnstrasse.pdf/50&oldid=- (Version vom 9.6.2018)