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den Kampf der Evangelischen als einen Kampf für die Freiheit. Aber er will nicht lutherisch sein, sagt sich auch von der alten Kirche nicht los. Er will nur hören und tun, was Christus sagt, und dadurch neu geboren werden. Die Seele muß gesunden. Der Wille ist nicht frei, die echte Freiheit nur das Leben im Willen Gottes. Zu diesem Allem bedarf es keiner kirchlichen Vermittlung des Heils, keines äußern Kirchentums, keiner Predigt usw. Jeder muß auf seine eigene persönliche Art seine Seligkeit suchen, in dem Glauben, daß wir allein durch Christus selig werden. Dem Erasmus endlich bedeuten die kirchlichen Neuerer vorab eine Gefahr der ihm teuren Studien. Und wenn trotzdem die Musen da und dort noch zu finden sind, so fehlen jedenfalls die Grazien. Überall ist Auflehnung, ist sittenloser Tumult, ist Tollwut und Tyrannei. Wenn ein paar Mönche sich entkutten, so feiern sie das als einen Triumph des Evangeliums, dieses Evangeliums, das uns eine ganz neue Sorte von Menschen gebracht hat: Heuchler Lügner Bösmäuler Aufrührer Zänker Zungendrescher Verleumder Rasende. Auch Zwingli, auch Farel und manche Andre zählen zu Diesen; Ökolampad ist noch der Bescheidenste, aber auch ihm fehlt die Aufrichtigkeit. Von Luther vollends sagt sich Erasmus ausdrücklich los; die Leugnung der vom Humanismus gefeierten Freiheit des Willens durch Luther gibt den Anlaß zum offenen Kampfe; die Erwiderung des Erasmus in seiner Diatribe 1524, das Antwortschreiben Luthers 1525 vollenden die Entzweiung. daß dabei Erasmus für die Mängel der alten Kirche und ihrer Lehre keineswegs blind ist, wissen wir; wir wissen auch, wie bittre Anfeindungen er gerade von dieser Seite her dulden muß. Aber er hält Allem gegenüber fest an seiner Überzeugung: literis et Christo! Sehnsüchtig ruft er nach einem Irenäus, einem Wiederhersteller des Friedens in der Kirche. Und immer aufs Neue wieder verkündet und beteuert er seinen Glauben an eine allgemeine Menschheitsreligion, eine einträchtige Kirche, ein Christenvolk das gleichen Sinnes ist per universum orbem.

Mit Parteileuten gewöhnlicher Art haben wir es bei den Humanisten nicht zu tun. Diese an Distinktion gewöhnten, in Selbstgefühl erwachsenen Gelehrten halten auch hier Abstand. Sie wahren kirchliche und parteiliche Disziplin, aber auch ihr eigenes Recht. In solchem Verhalten läßt die Kirche ihnen Freiheit. Denn sie weiß, wie viel ihre Zugehörigkeit wert ist. Im Besitz ungewöhnlicher Fähigkeiten und Kenntnisse, über ein weit mehr als lokales Ansehen gebietend, repräsentieren diese Männer eine große geistige Macht. Sie sind von Bedeutung für Reputation und Ausdauer der altkirchlichen

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/492&oldid=- (Version vom 1.8.2018)