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Als Wirkung dieses Gutachtens hat die Zensurverordnung vom Dezember 1524 zu gelten. Im Übrigen führte der Rat die bisherige Art der Behandlung des Glaubensstreites weiter. Wie dem Erasmus erschien auch ihm eine Verständigung der Streitenden, eine Wiederherstellung der Glaubenseinheit als möglich. Auch er hatte das Vertrauen in die gleichsam zauberische Wirkung eines Religionsgespräches und förderte alle Vorschläge von Disputationen.

Über den Traum solcher Glaubenseinheit siegte aber die summa prudentia, die Amerbach pries, die ruhige Klarheit einer höhern Anschauung. Während die Parteien im Volke immer heftiger kämpften, fanden sich die Räte zusammen zu einer Politik, die nicht nur das Predigen reglementieren wollte, sondern dem umfassenderen, reicheren und zugleich reineren Gedanken von der Freiheit des persönlichen Glaubens diente.

Die diese Anschauung verkündenden Erlasse werden wir kennen lernen.


Wir nehmen die Betrachtung des kirchlichen Streites wieder auf, die wir in einem Momente höchster Spannung verlassen haben.

Unter den Stößen des Sturmjahres 1526 brach die soeben geschilderte Haltung des Rates momentan zusammen. Der äußern Macht der Kirche und ihren Privilegien gegenüber blieb er allerdings der entschlossene Stadtherr; anders aber wurde seine Stellung zur Reformsache.

Schon im Blick auf die allgemeinen Zustände und auf das in Basels Umgebung Geschehende konnte die altgläubige Partei zuversichtlich und gewaltsam werden. Noch stärker wirkte, was in Basel selbst sich zutrug.

Die Unruhe der furchtbaren Maitage zitterte lange nach. Rings um die Stadt war Empörung, in ihrem Innern Mißtrauen und Gährung. Ein Beobachter wie Bonifaz Amerbach, geistvoll und nirgends beteiligt noch verantwortlich, hat uns das Wesen dieser Zeit gezeichnet: „An keine Heirat ist zu denken. Auf unserm Theater werden nicht Komödien und nicht Possen gespielt, sondern Tragödien und was noch unseliger sein kann. Die Bürgerschaft und die Familien sind in sich parteit, da die Einen dem Papste, die Andern dem Luther, die Dritten dem Karlstadt, die Vierten Niemandem oder ich weiß nicht wem anhangen usw.“ Wenn solchermaßen der religiöse Streit nur Unsicherheit und Verwirrung brachte, so schien dieser Zustand den ohnehin zu scharfen Maßregeln und zur Unterstützung der alten Kirche Geneigten Recht zu geben, wenn sie dem Rate zuriefen, daß es nicht mehr an der Zeit sei, nur zuzuschauen und geschehen zu lassen. Alle diese Auflösung städtischen Lebens, diese Gefährdung durch Rebellion, diese Demütigung

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/487&oldid=- (Version vom 1.8.2018)