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was die Stadt Zwinglis vielleicht nicht vermocht hätte. Schmerzlicher als Alles, was er hier erlebt, sind die Anfechtungen draußen, ist das Bewußtsein, nicht mehr der ehemals Mächtige zu sein. Auch ein Erasmus erlebt Werden und Vergehen. Die einen Freunde sind ihm fremd geworden, andre gestorben. So verödet das Leben, die dulcis consuetudo schönerer Zeiten ist dahin. Großartig und freudig gehoben war sein Wesen in den Jahren des Hieronymus und des Neuen Testamentes; jetzt hat er, der zum Frieden Geschaffene, nach allen Seiten hin kämpfend sich der Gegner zu erwehren. Vor Allen der gehaßten Mönche, der „Bäuche“. Aber er hat noch andre Feinde. Von überall her weiß er sich beobachtet, oft mißkannt und gehaßt. In Deutschland gilt er als der ärgste Widersacher Luthers, in Rom, in Brabant und anderswo als Lutheraner, und da sind Manche, die noch lieber ihn vertilgt wüßten als den Luther selbst. Womit hat er das Alles verdient? Warum muß er, der nur in den Gärten und blühenden Lusthainen der Musen zu Hause war und in ihnen ruhig zu altern hoffte, nun in die Arena hinabsteigen und sich als Gladiator gebärden? Während jene Andern nur an ihren Genuß und ihre Herrschsucht dachten, hat er sein Leben lang für Christus gewirkt, für die Wissenschaften, für die Zurückführung der Theologie zu ihren Quellen, für die Beseitigung von Irrtümern. Aber die ganze Welt ist verdorben und ihrem Verhängnis anheimgefallen, statt der Grazien herrschen die Furien, Alles ist kriegerisch geworden, auch die Gelehrsamkeit ist heute zänkisch, ist anmutlos.

So zürnt der Erasmus dieser spätern Jahre. Auch den alten Freunden erscheint er verbittert und mürrisch. Sogar für den Liebling Glarean hat er nicht mehr die gewohnte Freundlichkeit. Er ist müde, durch Krankheit Ärger und unablässige Arbeit erschöpft, und sehnt sich nach Ruhe. In solchen Stimmungen, überdies durch die hier herrschende Pest erschreckt, macht er im Januar 1527 sein Testament.


Unterdessen sind neben Erasmus Andre herangewachsen, die in eigner Macht ihr Geistiges vertreten. Sie gehören größeren Teiles der Universität an.

Doch ist vorweg Beatus Rhenanus zu nennen, den die Zeitgenossen als den ersten Mann des gelehrten Basel neben Erasmus, neben diesem „großen und ehrwürdigen Gestirn“ als das kaum weniger strahlende, zu verehren pflegen. Es ist die Zeit, in der die wissenschaftliche Tätigkeit Rhenans ihre bestimmte Richtung und zugleich ihre höchste Kraft gewinnt. In einem, soviel wir sehen, äußerlich unbewegten Leben. Vom Verkehre mit den Freunden ist die Rede, auch von Schülern. Der Sommer 1524 bringt

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/447&oldid=- (Version vom 1.8.2018)