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oft ganz Unbekannte, natürlich auch manch Unwürdiger und Zudringlicher. Nicht Alle sind bescheiden wie Niklaus Winman, der nach Basel reist um den Erasmus zu sehen, der ihn am Sonntag in der Kirche beim Gottesdienste betrachtet, dann auf dem Heimwege, da Erasmus mit Rhenan Froben u. A. geht, ihm von ferne folgt und dem Hause gegenüber auf einem Steine sitzend im Anschaun dieser Wohnung des Erasmus glücklich ist.

Neben den Besuchern die Briefe. Sie bringen ein geistiges Leben aller Welt in diese eine Basler Gelehrtenstube. Eine Korrespondenz, deren Dichtigkeit und Weite uns deutlich genug erkennbar sind, um auch diesen Teil der erasmischen Arbeit zu würdigen. Da er einmal dem Stephan Gardiner schreibt, entschuldigt er die Kürze damit, daß er noch dringende Briefe nach Sachsen Polen Ungarn Italien Spanien Brabant England abzufassen habe. Ein andres Mal stehen vier Boten zugleich bereit, um seine Briefe hinauszutragen.

Mittelpunkt einer allgemeinen Bewegung ist dieser einzige Mann, der durch seinen Geist, sein Wissen, die Gewalt des Blickes, die Anmut der aus feingeformtem Munde fließenden Rede Jeden bezaubert. Wir haben vor uns seine Erscheinung, wie sie durch den jungen Johann Keßler in einer von allem Humanistenpathos freien Schilderung gezeigt wird: den grauhaarigen ehrwürdigen Alten, den kleinen und zarten Menschen im langen blauen gegürteten Rock mit weiten Ärmeln. Wir kennen ihn auch, wie ihn Matsys und Holbein in Bildern festgehalten haben. Weich und fast träumerisch schaut das Angesicht des Fünfzigjährigen. Später ist ein Zug der Bitterkeit hineingekommen; der Schreibende scheint versunken in seine Arbeit, und doch, lauernden Auges, lauscht er unter müden Lidern hinaus nach Lob und Tadel.

Merkwürdig frühe nennt sich Erasmus einen alten Mann. Elegisch redet er von seinem „Körperchen“, vom Verfalle der Kräfte; seine Gesundheit ist „zerbrechlicher als Glas“. Der warme Dunst der Öfen bringt ihn beinah um; nur am offnen Kaminfeuer ist ihm wohl. Vor Allem aber leidet er an Blasenstein, sodaß ihm einzig der Burgunder ein bekömmlicher Trank ist.

Klagen um Klagen über diese Dinge geben seinen Briefen oft eigentümlichen Charakter. Aber er hat Schwereres zu tragen. Zu seiner Größe gehören der Widerspruch und der Widerstand Andrer. Schon in Basel selbst ist er kein Stadtheiliger, kann er keiner sein, ist er dem Übelwollen oder der Gleichgültigkeit ausgesetzt; und doch hat ihn diese Stadt aufgenommen und hält ihn fest trotz den Löwenern und Luther und Ökolampad,

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/446&oldid=- (Version vom 1.8.2018)