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Chronist für alles Folgende verantwortlich; „da der Hausvater schlief, säete der böse Feind Unkraut in den Acker!“ Zuletzt noch der kleine Humanist Bruder Georg Carpentarii in der Karthause. Auch ihn hat Luther gewonnen, bis seine Angriffe auf die oberste Kirchengewalt und sein Verdammtwerden durch Rom den Sympathien Halt gebieten. Dem bescheidenen Mönch ist nicht möglich, wie Andern, an einen Mittelweg zu glauben; für ihn gibt es nur Beugung unter den Geist der Kirche. Um so ergreifender ist, wie der durchaus subalterne Mensch in nahe Berührung mit den Größten kommt; wie Zwingli sein Jugendgenosse ist, Erasmus ihn bezaubert, Luther ihn sich zeitweise zu eigen macht, und zuletzt all diesem Leben gegenüber die Disziplin den Sieg behauptet. Was hat sich Georg als innerste Erfahrung und Überzeugung vielleicht dennoch Vorbehalten? Sein Brief an Zwingli im Jahre 1525 zeigt in rührender Weise die Not einer unfreien und scheuen, zwischen den gewaltigen Forderungen der Zeit hin und her schwankenden Seele.

Mehr ist von Erasmus zu sagen. Er befand sich, als Luther auftrat, in seiner niederländischen Heimat, meist in Löwen. In der erhöhten Stimmung, die eine Folge war der vor Kurzem vollbrachten Edition des Neuen Testamentes; der Größe dieser Tat bewußt, aber ihretwegen auch heftig befeindet und von kuttentragenden „Hunden angebellt“. Wichtige Äußerungen und Arbeiten bringen uns den Erasmus dieser Zeit nahe. Seine Paraphrase zum Römerbriefe sendet er dem Cardinal Grimani mit einer grandiosen Apostrophierung Roms, die in dem Ruf ausklingt: „Siehe zu, daß dieses Rom nicht zu einem Babylon entarte!“ Wie er dies im November 1517 schreibt, gleichzeitig mit dem Bekanntwerden der Thesen Luthers, so wendet er sich auch sonst mit Schärfe wider die kirchlichen Übelstände. Und während Luther seinen Kampf unternimmt, hören wir den Erasmus zur alleinigen Nachfolge Christi rufen, sehen ihn das Größte tun für Erschließung der Zeugnisse reiner evangelischer Lehre. Begreiflich daher, daß Zasius ihn als Den preist, der Luther voran den Weg zur Wahrheit eröffnet habe, und daß Mutian ihn als die Quelle bezeichnet, aus der die Ökolampad Melanchthon Luther gekommen seien, daß der Nuntius Aleander in ihm den Vater aller Lutherei sieht.

Luther und Erasmus beherrschen die Geister. Man sieht sie demselben Ziele zudringen. Jeder vergleicht sie. Während die Gegner sie zusammenspannen und gemeinsam schmähen, bedauern Freunde, daß die ungewöhnlichen Kräfte auf Zweie verteilt seien.

Wir stellen uns dabei vor, wo Erasmus lebt. Wand an Wand mit den Löwener Theologen, die Luthers Lehre verdammen und die gegen

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/357&oldid=- (Version vom 1.8.2018)