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gegenwärtigen Menschheit selbst. Eingespannt in dieses sich wandelnde Weltbild erlebt auch Basel den Übergang von Zeitalter zu Zeitalter, erfährt auch Basel die Macht des Geistes der Befreiung von Altem, von Zwingendem und Verhüllendem. Dieser Geist ist am Werke, wenn das städtische Regiment gegen Bischofs- und Priestermacht sich erhebt; wenn eine mündige Wissenschaft und in weitern Kreisen eine freie Bildung um ihren Platz kämpfen; wenn Skepsis hier, persönliche Religion dort der Kirchenlehre widerstreben; wenn die Kunst frische Kräfte des Schauens und frische Formen des Bildens gewinnt; wenn Rebellion der Beherrschten sich regt usw. usw.

Wir machen uns klar, daß alle diese Bewegungen und Aspirationen eines neuen Lebens, seit Langem vorbereitet, jetzt nebeneinander laut werden. Wir machen uns aber auch klar, wie ihrer jede dem Widerstande derjenigen Macht begegnet, gegen die sie sich richtet, dem Widerstande der Ratsgewaltigen, der starken Kaufmannschaft, der Kirche usw. So vervielfacht sich das Ganze zu einem leidenschaftlich erregten Komplexe von Angriff und Gegenwehr. Und wenn vor unsern Augen rings um diesen Streit her sich Herrlichkeit und Glanz städtischen Lebens breiten und schöpferische Kraft freudig emporsteigt, jede Kapazität in stärkster Bewegung ist, so verbindet sich Alles, Kampf und Glück, zum überwältigenden Bild eines von Energien und Spannungen und Schönheiten überfüllten, zur größtmöglichen Steigerung gereiften Daseins von Basel auf der Höhe der Zeit.


Aber indem so große Veränderung geschieht, sollte nach dem unruhigen Empfinden Vieler noch weit Mehr anders werden. Das Feld der Möglichkeiten erscheint dem Hoffenden wie dem von Sorge Gequälten als ein grenzenloses.

Wie notwendig gehört zum Wesen dieser gewaltigen Epoche, die alle Schranken niederwirft, daß sie auch die Fähigkeit zu Ruhe und Sättigung nimmt. Zum Hochgefühle müssen sich gesellen die Schauer der Höhe, die Ahnungen von Schrecken und Weltuntergang, während das Gefühl des Ungenügens und die Sehnsucht sich gierig zu glänzenden phantastischen Bildern einer verklärten Erde, eines Reiches der Gerechtigkeit und des Friedens drängen. Und es erwachen wieder die Fragen: „Wann wird es geschehen? und was wird das Zeichen sein?“ Die so fragen sind nicht beruhigt im Glauben der Christen. Das Vertrauen auf göttliche Lenkung hat neben sich zu dulden die uralte Dämonenfurcht, die Beugung vor der Macht der Gestirngötter als der mitleidlosen Mitwisser des Schicksals.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/316&oldid=- (Version vom 1.8.2018)