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Eine gewaltige Erscheinung vorerst ist die Explosion dieser allgemeinen Kriegslust und Fähigkeit im Reislaufe.

Wir kennen ihn. Er hat schon frühere Zeiten bewegt. Jetzt, da Alles gesteigert ist, hat auch das Reislaufen seine Höhe. Unaufhörlich, in fast verwirrender Menge, kreuzen sich diese Reislaufdinge mit denen des offiziell autorisierten Kriegstreibens.

Die Verhandlungen der Eidgenossen hierüber führen schon 1503 zum Verbote jedes eigenmächtigen Reislaufens und jeder unbefugten Werbung für fremde Dienste. Aber, als ob dieser Erlaß nicht bestünde, hat die Tagsatzung all die Jahre hin immer wieder von der Sache zu reden, bis zur großen Aufregung im Frühling 1519, da die dem Herzog Ulrich in dichten Scharen zugelaufenen Knechte dem Heimrufe der Tagsatzung nicht folgen und einige Orte, darunter Basel, sich rüsten, mit Hauptbannern und „eilendem gewaltigem Heerzuge“ die Ungehorsamen wieder nach Hause zu zwingen.

Auch in Basel folgt Verbot dem Verbote. Stets in dem Sinne, daß die Leute still sitzen und der Obrigkeit gewarten sollen, die ihrer jederzeit bedürfen kann. Aber umsonst. Vom Elternhause, vom Handwerk, vom Acker weg läuft die Jugend in den fremden Kriegsdienst. Aus Armut folgt der Eine dem Werber, Schulden halber ist der Andre gebannt und muß aus der Heimat weichen, den Dritten verscheucht das Unglück des Todes seiner Frau u. dgl. m. Das sind einzelne Fälle. Umfassender ist das Ganze. Unergiebigkeil des Bodens und Mangel an Verdienst mögen fort treiben, aber auch die Wanderlust, die Rauf- und Beutegier, der kriegerische Drang, die Ungeduld. „Was sollen wir daheim tun? an den Klauen saugen? die Finger spitzen?“ In Vielem steht eine Notwendigkeit vor uns. Ein Überschuß sucht sich Raum und Bahn. Und wenn die Vaterlandslosigkeit dieses Mutes, das Dahintenlassen und Verwahrlosen einer angestammten Erde mißfällt, wenn nach Gengenbachs Urteil der Reisläufer Land und Leute verrät und ein durch alle Welt streichender Kistenfeger ist, so mag auf der andern Seite erwogen werden, wie manche Unbändigkeit, die zu Hause Übel wirkt, hier im Söldnerleben ein ihr gemäßes Feld findet; auch der Gedanke an das Viele gilt, das den heimkehrenden Reisläufer begleitet und nicht allein Arbeitsunlust ist und Unsitte, sondern auch Erfahrung Weltkenntnis Bildung. Im Reislaufe waltet dieselbe Kraft, auf der die einzige Kriegsglorie der Schweiz dieser Jahrzehnte ruht.

Nicht an niedres Volk nur haben wir dabei zu denken oder an die ohnedies verlornen Existenzen. Auch der Herrensohn, der reiche Herbergswirt,

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/127&oldid=- (Version vom 1.8.2018)