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Der Rat beschenkt jedoch nicht nur Solche, die mit ihm zu tun haben, sondern überhaupt jeden Durchreisenden von irgendwelcher Auszeichnung. Es ist unmöglich, hier auf Einzelheiten einzugehen. Höchstens die große Gruppe fürstlicher Spielleute Sänger Sprecher Herolde und Persevanten u. dgl. ist zu nennen, da diese Leute zumal im spätem XV. Jahrhundert zu einer stehenden Klientel wurden, deren Bettelei bald allenthalben eine Last war, so daß man selbst auf Reichstagen davon redete. Jedenfalls handelte es sich bei ihnen nicht mehr um den Schenkwein, sondern einfach um Geld. Auch sonst fällt oft schwer zu sagen, ob man eine Ehrung oder eine Unterstützung vor sich habe. Die Schar der Empfänger ist überaus vielgestaltig, von den Provinzialen der Bettelorden die periodisch sich hier einstellen, von der sächsischen Herzogin die bei Unserer Lieben Frau zu Einsiedeln gewesen ist, bis zu den vertriebenen Christen von Ellenbogen, dem tauben Doktor, dem armen Ritter aus Lüttich der vom heiligen Grabe kommt usw. usw. Wie mancher solcher Passanten, wohl auch der im November 1479 beschenkte „König von Konstantinopel“, mag ein loser Schwätzer gewesen sein, der den Baslern für ihren Schenkwein eine ganze Odyssee erzählte. Und derselbe Bettler, der als Pilgrim, als Rom- oder Heiliggrabwallfahrer u. dgl. beim Rate vorgesprochen, klopfte dann auch noch an den Bischofshof. In einzelnen Fällen — einem Nachrichter der fromm werden will, einer armen Frau mit drei Siechtagen — ist das Ehrengeschenk unverkennbar zum Almosen degradiert, in andern — einem Mohren, einem gelehrten jungen Knaben, einer Frau ohne weibliche Zeichen — zur Belohnung einer Kuriosität.

Mit dem mannigfach bezeugten souveränen Gefühl ist aber durchaus verträglich, daß dicht neben dem feierlichsten Gebühren ein spontanes vertrauliches, von aller Pedanterie freies Handeln steht. Vor Allem in den Beziehungen des Rates zur Gemeinde. Den Grundsatz, daß der Rat seinen Bürgern in ihren Nöten und Anliegen helfen solle, spricht er selbst schön aus. Dabei hat er nicht nur öffentliche Verhältnisse im Auge, sondern auch die ganz privaten Angelegenheiten des Einzelnen. Als die Obrigkeit eines Gemeinwesens, wo Jeder Jeden kennt, kümmert sich der Rat auch um diese Dinge. Er weist die Bürger nicht einfach an das Gericht, sondern nimmt sich selbst ihrer Beschwerden an, läßt durch die Häupter abhören erkundigen schlichten, zu Güte und Ordnung reden. Und hierüber hinaus sehen wir hundertfältig bezeugt, wie der Rat Freude und Trauer nicht allein seiner Mitglieder mitbegeht, sondern in viel weiterm Kreise solche Erlebnisse, Hochzeit wie Bestattung, durch seine Teilnahme adelt.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes erster Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1911, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,1.pdf/270&oldid=- (Version vom 24.10.2016)