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Verschiedene: Wünschelruthe


schöngeformtes Antlitz mit großen, herrlichen Zügen; der Ausdruck ist nicht auszusprechen, man sieht das Schwert durch ihre Seele geben. Die rechte Hand ist auf die Erde gesunken; den linken Oberarm hält eine hinter ihr stehende Maria, die mit der Rechten ihr schwaches Haupt stützt, mit der Linken empor, so daß die Hand auf die Hüfte zurücksinkt. Mit verweinten Augen tritt Johannes zur Seite hinzu, die Mutter des Herrn ebenfalls unterstützend. Dicht hinter ihnen ist der Leichnam vom Kreuz genommen; ein Mann der hinter ihm oben auf der Leiter steht, macht eben noch den linken Arm los, der, in der Mitte stark gebogen so wie der emporgehaltene der Maria gerade unter ihm, mit diesem und den mancherlei scharfen Stellungen zusammen für das Ganze einen Eindruck des Gebrochenen im Schmerze giebt, wie er wohl nie gegeben worden. Joseph von Arimathia hält die Leiche auf einem weißen Tuche unter beiden Armen, ein andrer (das angebliche Bildniß des Malers) an den Füßen; beide sind Porträts, der erste ein liebevoller graubärtiger Alter, eine schwarze Calotte auf dem Haupte, der letzte ein kräftiger Mann, den eindringlichen Blick nach dem Beschauer zu gerichtet, wie vermittelnd und das Wunder verkündigend; dieselbe Gestalt ist oft ähnlich aufgefaßt worden. Wenig weiter zurück nach der rechten Seite zu steht Nikodemus mit dem Salbengefäß, und eine der Frauen, die sich in stillem Schmerze die Augen trocknet, und ganz rechts noch Magdalena, nach dem Leichnam blickend, die heftig gerungenen Hände gegen das geneigte Haupt bewegend. Ihr etwas krampfhafter Ausdruck möchte uns am wenigsten ans Herz sprechen; aber er ist nicht durch eine Unfähigkeit herbeigeführt, den Charakter ungetrübt und in sich selbst bestehend darzustellen, – vielmehr findet sich dieser Sinn hier im höchsten Grade und jede Bewegung bei aller Heftigkeit kommt aus dem innersten Gemüthe, – sondern durch die sehr lebendige und natürliche Steigerung der Empfindungen bei den Frauen, von der sanften Trauer bei der Weinenden, der durch das Leiden blickenden Angst um die Mutter bei der welche diese unterstützt, bis zu dem tieferen Jammer der Büßenden deren Schuld sich durch und in dem Todten gelöst, während die Mutter selbst an dem reinen mütterlichen Schmerze um den Sohn zu sterben und im Hinüberschlummern von dem Sohn zu träumen scheint. Die Zeichnung ist richtig und streng, die Formen etwas trocken, aber großartig wie Alles an dem Bilde, wie schon der Gedanke und die Composition, wie auch der Faltenwurf, und eben so die Vertheilung der glühenden Farben, die ganz den Eyckschen gleichen, in großen Massen: in dem blauen Gewande der Maria, dem grünen der sie Haltenden, dem rothen des Johannes, so wie in den mehr abwechselnden Kleidern der Figuren der zweiten Gruppe, die den Leichnam vortrefflich heben. Die Behandlung der Schatten, etwas dunkler als man sie sonst aus dieser Zeit gewohnt ist, und doch von der vollkommensten Durchsichtigkeit, paßt ganz zu dem Eindruck des Gegenstandes.

Bedeutend ist die Vergleichung dieses Bildes mit einem andern desselben Gegenstandes, welches nach einer nicht unwahrscheinlichen Annahme ein Jugendbild desselben Meisters ist. Es ist von viel kleineren Dimensionen, die Composition hingegen ausgedehnter und in einer Landschaft. Ein ähnlicher Geist ist darin wie in dem vorigen, und einige Gestalten erinnern sehr an jene, besonders der eine Träger der Leiche, der hier in der That ganz dasselbe Porträt, nur jünger, und ebenso aufgefaßt ist wie dort, und wieder den Meister vorstellen soll. Wir vermissen dagegen hier die erstaunenswürdige Großartigkeit in allen einzelnen Wahrnehmungen wie in ihrem Zusammenfassen zu einem Ganzen, und sehen an ihrer Stelle eine gewisse Strenge und Starrheit, die selbst zur Steifheit wird, die aber einen großen Sinn beurkundet und sich leicht später gemildert zu jener Großartigkeit gestaltet haben mag. Die äußere Behandlung ist kalt und fast hart, aber fleißig und rein; eine herrliche Zeit und das Zunehmen der Kunst ist unverkennbar.

Wir übergehen einige Bilder strengen Styls, worunter noch besonders eine Madonne von Hugo van der Goes, ein ganz kleiner Christus am Kreuz mit Maria und Johannes, und ein sehr schönes kleines Frauensporträt auszuzeichnen wäre, welches auch schon der Seltenheit wegen als ein bloßes Porträt aus dieser Zeit merkwürdig ist. Wir kommen nun an einen neuen Kreis, der, mit Mabuse beginnend, von Anfang an eine Bekanntschaft mit dem Ausländischen beurkundet, und müssen auch hier bemerken, wie er bei so vielen vortrefflichen Zügen doch, was Geist und Richtung, so wie die Auffassung der Natur und die Erscheinung im Großen betrifft, gegen jene vorhergehenden herrlichen Meister zurücksteht. Hier treten die Figuren in mancherlei künstliche Zusammensetzungen, die jene ursprüngliche geistige Symmetrie nicht ersetzen können, weil sie nicht so aus dem freien Blick und Gemüth von selbst erwachsen sind, wie bei den großen Italiänern, von denen sie entnommen waren. So sehen wir manche zierliche Bewegung, die um ihrer selbst willen, und ohne den steten Bezug auf ein geistiges Ganze erscheint, manche Leidenschaft die nur sich selbst bedeutet, und so bei den verschiedenartigsten oft porträtirten Zügen eine neue Identität des Ausdrucks entstehen läßt, die sich nicht wohl selbst vertheidigt wie jene traditionelle der Formen, manche schöne Gestalt, die das Auge wissentlich auf sich ziehen zu wollen scheint; während der angeborne große Farbensinn den Niederländer bei manchen wohl nachzuweisenden Kunstgriffen zur Harmonie und malerischen Vollendung doch hierin sehr rein erhielt, und die Behandlung des Colorits und der Schatten von einem für die Natur und ihre Ideen offenen Blicke zeugt.

(Der Schluß folgt).

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_220.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)