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Verschiedene: Wünschelruthe


Das Leiden das ich tragen muß
Das trag’ ich Schätzchen um dich,
Sie haben mir einen Mann auserwählt,
Mein Herz begehrt ihn nicht,

25
     begehrt ihn nicht.


Es ist kein Fisch so klein, er fließt im Wasser,
Es fließt das Wasser auf und nieder,
Ach mein Schätzchen komm bald wieder.
Wärst du diesen Abend bey mir.

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     Abend bey mir.
Mitgetheilt von Dr. Julius.


Proben aus Ferdinands Tagebuche.
II.
Septmbr. 1814.

Die Sonne sank schon schnell und schneller den Bergen zu, die Wolken wurden farbenbelebter und zogen in bedeutsamen Gestalten nach Westen, nun schienen sie sich dort zu versammeln, als wollten sie der scheidenden Göttin des Tags ein purpurnes goldumsäumtes Triumphthor aufbauen. Anguste und Emilie, auf die niedrige Mauer gelehnt, welche den Lindenplatz nach der Flußseite hin einfaßt, erfreuten sich an der Pracht des Himmels und sogen die Abendstrahlen von der duftigen Herbstluft gemildert und sanft aufgelöst, begierig ein. Die leidenden Augen zu schonen, saß Emma vom blendenden Glanz abgewendet, etwas zurück, wo die alte Linde gefällig einen starken Ast bis nahe zum Rasen herab beugt mitten im grünen Gezweig. Frei und bequem, wie sie vom Arm des Baums emporgehalten wurde, im knappen rothen Gewand, die braunen Loden los um den zarten Hals, um den weißen Nacken wallend, da sie sinnig das Köpfchen wiegte, wobey denn das Licht, das mit den Blättern spielte, einen röthlichen Schimmer neckend auf das halbbeschattete feine Gesicht warf, war sie gar anmuthig und fast feenhaft anzusehen. Nachlässig ruhte die Guitarre ihr im Arm; nur zuzeiten streifte das Mädchen mit leichten Fingern über die Saiten hin, als wolle sie das Instrument in Träumen stören, oder eigne Träume mit leisen traumhaft unbestimmten Klängen begleiten. – Ferdinand war über den weiten Hofraum dem Schloß zugegangen, das mit seinem runden Thurm, seinen mächtigen, halb verfallenen Mauern und dem breiten Burggraben, ihn immer neu und lebhaft an die tüchtige Ritterzeit mahnte, an die wunderbare Zeit der Abentheuer und des holden Frauendienstes; vor der steinernen Treppe deren ausgetretene Stiegen nicht in bester Ordnung vom Lindenplatz herabzuklimmen scheinen, hatte ihn etwas festgehalten, er wußte selbst nicht was es war, vielleicht die nur in der Luft bebenden Guitarrentöne; hinaufgeklettert, war er still herangeschlichen und lauschte unbemerkt ganz im Anblick der reizenden blassen Jungfrau versunken. Sie schien über etwas nachzusinnen, plötzlich griff sie bestimmter in die Saiten, und wehmütige Accorde flatterten ungern, als würden sie von der Sehnsucht gehalten, aus dem dunklen Laub. Emma sang mit weicher schmerzbewegter Stimme als klage sie den fliehenden Tönen nach:

     Im stillen Thale da drüben
Weint wohl ein verlassenes Kind,
Vom Leben, vom Lieben – Betrüben
Es ist ihr sonst nichts mehr geblieben,
Drum weinet das einsame Kind.

     Und sterben die Blätter, die Blüten
Und schweiget das Vöglein im Wald,
Der Früling wird Blüten ja bieten,
Fern wird er das Vöglein behüten
Bis weichet des Winters Gewalt.

     Ach einmal verloren, verklungen,
Kehrt nimmer die Liebe zurück.
Von Schmerzen im Herzen bezwungen
Von Leid nur umrungen, umschlungen,
Läßt Liebe uns weinend zurück.

Schon als Emma zu singen begann, hatte Auguste sich umsehend Ferdinand erblickt, dieser aber winkte und legte den Finger an die Lippen, daß die Sängerin nicht gestört werde – Die Worte des Gesanges waren ihm bekannt, Ernst hatte sie gedichtet, es war dies eins von den kleinen Liedern, womit er in einer schönen Zeit heitere Menschen an das tiefe lautlose Weh erinnerte, das unbeachtet in so mancher Brust schmerzlich und unaufhaltsam am besten Leben nagt und zehrt. Ach und jetzt! – waren diese Lieder nicht zu Ahnungen, waren sie nicht wirklich und lebendig geworden, und klagten sie nicht ihn selbst an? – Damals hatte Emma einigen bekannte einfache Melodien untergelegt, die Weise aber, welche Ferdinand jetzt hörte, mochte wohl nur eben erst aus der bewegten Brust hervorquellen.

Wie war es rührend, daß sie so sorglos die Sehnsucht, die Traurigkeit des Herzens den Tönen anvertraute, da sonst nie ein Wort, kaum ein Seufzer verrathen durfte, was sie litt.

Emma schwieg; Ferdinand grüßte sie freundlich. Wie geht es dem Kranken? rief sie ihm hastig zu. – Die schönste Hoffnung, erwiederte Ferdinand, das Fieber weicht, er nimmt wieder Theil an dem was um ihn vorgeht, Ihnen soll ich Alles Gute und Liebe sagen für Ihre freundliche Theilnahme und danken für die Erquickung – Wie schlimm daß er den Winter vor sich hat, meinte Auguste – Sein Sie unbesorgt, entgegnete

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_206.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)