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Verschiedene: Wünschelruthe


menschlichen Brust selbst herausbilden und vollenden, wenn gleich jener erste Anklang im Worte in der Natur gegründet war, der bildenden Kunst sehr fern liegen müssen. Mystik im strengern Sinn kann daher mit ihr in gar keiner Verbindung stehen, und es wird jeder einsehen, daß symbolische Vorstellungen, wie man sie z. B. zu Jacob Böhmens Werken hat, worin die Gestalt der Idee ganz aufgeopfert ist und die Bedeutung gar nicht in jener liegt, durchaus nie ein Bild werden können. Aber es giebt eine andere Symbolik, mit der die gütige Natur, von dem Ursprunge des Menschen an, von außen herein in seine Brust redet, die in heitern Gegensätzen den Mikrokosmus im Menschen wie in jedem Geschöpfe mit dem weiten All, und menschliche Gedanken mit den großen Ideen der Natur vergleicht, während jene strenge nur immer eines in dem andern finden will und so die Gestalt, die nur im Einzelnen bestehen kann, in beiden verloren geht. Ja es giebt eine heitere Mystik, die sich freudig unter dem blauen Himmel ergeht, und ihn nur für den blauen Himmel nimmt, und doch so vieles noch beim blauen Himmel denkt. In den größten und dem Menschen am nächsten Erscheinungen der Natur schlägt dieser frische Sinn sein Lustlager auf; alle sind ihm eine Zierde und so wie er diese auffaßt, wird sie ihm von selbst schon bedeutend; und die Bedeutung tritt dem Unbefangenen mächtig ans Herz und will gefühlt, aber nicht in ihre Theile zerlegt werden. Man erlaube mir als ein bedeutendes Beispiel hiervon das berühmte Flügelbild von Hemmelink in der Boissereeschen Sammlung anzuführen. Der heilige Johannes auf dem linken Flügel mit dem Buch und dem Lamm dessen Verkündiger er ist, steht in der frisch aufgrünenden lieblichen Gegend; an seiner Seite rieselt der klare Quell, den die junge Erde an die Sonne sendet, über helle Kiesel hin; und die ganze Natur, und die Aussicht zwischen grünenden Bergen durch in reiche Gefilde auf blinkende Städte hin verkündigt Freude und Segen. Auf dem Mittelbilde erscheint nun schon der verkündigte Herrscher der Welt, ein freundliches Kind auf dem Schooße der Mutter; gering und schwach ist seine irdische Gestalt, aber schon beugen sich vor ihm die Könige und Weisen der Erde. Die Landschaft ist links von der kleinen an den Ruinen eines alten großen Gebäudes erbauten Wohnung der Heiligen verdeckt, in der ein heimliches Feuer auf dem Heerde im innersten Gemache brennt, und streckt sich rechts weit aus, flacher und sommerlicher als auf dem Flügel, zwischen Büschen den Weg verfolgend den die Könige kamen. Aber der rechte Flügel zeigt uns die vollendete Offenbarung der unendlichen Herrlichkeit des Gottes, der als Kind, aber ernst auf den Schultern des Starken sitzt, der nur dem Mächtigsten dienen wollte, und als der Mächtigste ihn schwer drückt, aber als der Gütigste ihn segnet. Und jener wandelt durch den Fluß, der sich unabsehbar hinstreckt an den schwach begrünten Felsen, an den blauen Bergen die sich in den Hintergrund verlieren, und über denen die goldne Sonne emporsteigt, Licht im Licht schwimmend, hinauf unter den rothglühenden Wolken zum noch finsterblauen Himmel, herrlich wie sie noch nie gemalt worden; sie geht auf im Haupte und im Herzen des lange Irrenden, der neue Kraft unter der Last fühlt, sie geht auf über die weite Welt mit dem göttlichen Kinde zugleich; aber sichtbar ist auch noch das kleine Licht in der Hand des Einsiedlers auf dem Felsen, der wundernd herniederschaut; er war hier der Vorherverkündiger, auch er wird nicht vergessen werden. – Alles hat hier seine Bedeutung schon in sich, und spricht als einzelne Naturerscheinung an das empfängliche menschlichs Herz; Alles wird hier schon an sich gehoben durch die Verbindung und den Gegensatz, in welchen eines gegen das andere gesetzt ist. Wir wünschten nicht daß uns jemand die Freude verdürbe, indem er uns sagte, der Quell ist der ewige Brunnen des Lebens, – wir wissen es auch daß das ewige Leben der Natur den Quell aus ihrem Herzen treibt, und das göttliche Symbol würde nur zu dem umgekehrten menschlichen werden, das erst aus ihm entsprang; – oder indem er uns bedeutete, dieß ist der alte Sonnengott, der am Jahrsfest aufgeht und die Wiederkehr des Lebens in der himmlischen Kraft bringt; und dieß ist das kleine Licht, von seiner Klarheit wie beschützt, das nur der Glaube im frommen Herzen auf Erden anzündet; – wie sollten wir dann doch menschlichen Antheil an dem guten Alten nehmen, der so freudig erstaunt da aus seiner heimlichen Klause in die erwachende Natur tritt, wenn er uns nur ein Bild von einem Bilde wäre?

So wurde zu einer fruchtbaren Erscheinung für diese glücklichen Maler die verstecktere Verbindung der strengeren erst im Nachdenken gebildeten, aus jener Zeit, wo die freie Kunst ganz gegen die religiöse Bedeutsamkeit zurückstand, überlieferten Symbole mit der äußeren Natur; ganz gleich den großen hellenischen Künstlern, nahmen sie dieselben nun bloß zur Zierde oder lebendigeren Darstellung oder Vollendung des Aeußeren ihrer Bildungen, ohne mehr an den alten Sinn zu denken; so sehen wir auf der erwähnten Anbetung der Könige eine Schnecke, einst Sinnbild der unbefleckten Empfängniß, auf das zierlichste und vortrefflichste ausgeführt, vorn auf dem alten Gemäuer kriechen; – dagegen ist in anderen sprechenderen solcher Symbole gewiß die Bedeutung nicht verloren, wie sie es dann auch uns nicht seyn wird; so in der Lilie neben der Jungfrau auf jeder Verkündigung.

(Die Fortsetzung folgt).

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_202.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)