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Die Meistersänger-Lieder führt Görres in der Vorrede an als einen neuen Beweis für die Meinung von Jacob Henne, daß Meister- und Minne-Gesang eins.

Geistliche Lieder.

Der Punkt wo die Legenden und geistlichen Lieder mit den Volks-Mährchen, -Sagen und -Liedern zusammenhängen und in einander übergehen, ist noch nicht aufgeklärt; zum Theil geschieht es wohl durch den Gegensatz des Heiligen zu dem Hexen- und Zauber-Wesen.

Die hier gegebenen sind meist geistliche Gedichte, nicht Kirchenlieder, außer den 3 Marien und Gotttergebenheit, welche auch ganz volksmäßig sind.

Der Ritter und die Welt ist sehr merkwürdig sowohl durch die Schärfe und Bestimmtheit der Gedanken, als für die Sittengeschichte der Zeit. Die übrigen sind meist Legenden.

Was die Art des Abdrucks betrifft und die Orthographie, so hat Görres in der Vorrede ausgesprochen, was seine Absicht, daß die Lieder nehmlich wieder lebendig eingehen sollen; wir wollen diese Absicht ehren, obgleich wir sie nicht ganz theilen, die Lieder sind dem Volke und rein modern Gebildeten doch unzugänglich, unverständlich oder gar fatal, und wer sie versteht, muß sie nothwendig auch in ihrem alterthümlichen Gewande verstehen. Sie haben aber durch die neuere Schreibart und Veränderung einiger unverständlicher Worte zum Theil die Farbe ihrer Jahrhunderte verlohren, besonders merkt man es kaum, daß sie aus so ganz verschiedenen Zeiten, mehrere Jahrhunderte auseinander, hier vor uns stehen. Auch hätten wir gewünscht, daß bei jedem Liede Codex und Seitenzahl angegeben, woher es genommen, grade um jene Wahrheit zu zeigen, um deren Unterlassung der 1ste Theil des Wunderhorns so angefeindet worden.

tn.     




Das Mährchen vom Ring und dem Schatten.




Ein schmucker, kühner Ritter hatte sich bis zum Sterben in eine sehr schöne Gräfin verliebt. Lange trug er seine feurige Liebe heimlich im Schreine des Herzens verborgen und ergötzte sich nur im Stillen, wenn er jezuweilen die Blume seiner Wünsche ansichtig wurde. Aber die Liebe ist, wie das Feuer, das tief im Herzen eines Berges brennt; es beißt und frißt so lange um sich, bis es die harten Felsen zersprengt und dann hoch und frei zum Himmel auflodert, und aller Welt offenbar wird. Eines Tages war der Ritter seiner Geliebten in die Kirche gefolgt und da gerade wenige Leute darin waren, so hatte er sie mehrere Stunden lang so recht nach Herzenslust in der Nähe geschaut und sich im Anblicke ihrer unsäglichen Schönheit zur Kühnheit berauscht. Hellauf brannten seine liebenden Gefühle, und als sie nun heimkehrte auf ihre Burg, da folgte er ihr nach, weil es ihm unmöglich dünkte, ihr nicht zu folgen. Und als er sie erreicht hatte, da beugte er ein Knie zur Erde, gestand ihr seine unendliche Liebe und bat sie flehentlichst, ihm etwas zu schenken, was sie getragen, auf daß er bei seinem Anblicke allezeit an den Wunsch seiner Seele erinnert werde und dadurch Kraft erhalte und Muth zu herrlichen Thaten. Als sie ihm aber die Bitte versagte, faßte er schnell ihre Hand und nahm ihr lächelnd einen goldnen Ring, den sie trug, und als sie darüber erzürnte, schien er sie damit besänftigen zu wollen, daß er ihr den Ring zurückgab. Allein es war nicht derselbe. Gar geschicklich hatte er ihn mit dem seinigen, der jenem sehr ähnlich war, vertauscht. Gleich darauf beurlaubte er sich und ging. -

Nach einer Weile besah die schöne Rittersfrau den Ring und als sie den Betrug gewahrte, schickte sie sogleich dem Ritter nach und hieß ihn augenblicklich zu ihr kommen. Er kam und traf sie im Garten, wo sie eben am Rande eines Springbrunnens einher lustwandelte. Mit ernster Miene begehrte sie den Ring und gab ihm zuerst den seinigen zurück. Der Ritter nahm seinen Ring, und da er im hellen Spiegel des Wassers das Bild seiner Geliebten erblickte, sprach er: dieweil meine Geliebte diesen Ring nicht tragen mag, so will ich ihn derjenigen geben, die ich nach ihr am innigsten verehre, und somit warf er es nach dem Bilde in die spiegelnde Fluth. Dieser rührende Scherz entlockte der Schönen ein mildes Lächeln. Freundlich blickte sie in die Augen des Ritters und bat ihn, sie in das Schloß hinauf zu begleiten.

Ihren Ring aber hat die schöne Rittersfrau seitdem nicht mehr zurückgefordert. -

Frei nach dem fabliau de l’ombre et de l’anneau par Jean renart in den fabl. ou contes du 12me et 13me siècle.
t. 1. p. 179.
von F. W. Carove.     
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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_180.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2016)