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Verschiedene: Wünschelruthe


ich kenne eine Frau, wenn ihr die sehen solltet, ihr würdet sie wenigstens eben so schön finden als eure Mutter, ja vielleicht noch schöner, so ausgezeichnete Reize besitzt sie.“ - Nerino meinte er könne zwar nicht glauben, daß sie seine Mutter an Schönheit übertreffe, doch würde es ihm lieb sein, sie einmal zu sehn. „Wenn ihr es wünschet, sagte Raimond, so kann ich es wol so veranstalten, daß ihr sie zu sehn bekommt.“ „Ich würde es euch Dank wissen, erwiederte der junge Spanier.“ - „So kommt morgen früh nach dem Lustgarten am Thor, dort will ich sie euch zeigen.“ -

Sobald Raimond nach Hause kam sagte er zu seiner Frau: „zieh dich morgen bei Zeiten an, Genobbia, und putze dich nur recht hübsch, wir wollen ehe ich meine Kranken besuche, ein wenig miteinander spazieren gehn.“ Genobbia wunderte sich nicht wenig über diesen Einfall ihres Mannes, sie war gar nicht gewohnt bald hierhin bald dorthin zu laufen, blieb fast stets zu Hause und brachte ihre Zeit mit Nähen und Stricken zu. Weil es aber ihr strenger Eheherr verlangte schickte sie sich am andern Morgen zum Spaziergang an, ordnete ihren Anzug mit großem Fleiß, und wußte ihre Reize durch einen geschmackvollen Putz so zu erhöhen, daß sie wie ein Engel aussah.

Von einem Diener begleitet machte sich nun Raimond mit seiner Frau auf den Weg, und sie waren kaum in den Garten getreten, als auch der junge Spanier dort anlangte. Meister Raimond winkte ihm verstohlen zu, jener näherte sich ein wenig, ging einigemal an dem Ehepaar vorüber, um die Dame genau betrachten zu können, und fand, daß ihm der Doktor nicht zu viel von ihr gesagt hatte. Meister Raimond spazierte nun noch eine Zeitlang mit seiner Frau im Garten herum, und ließ sie dann in Begleitung des Dieners nach Hause gehn, weil er, wie er ihr sagte, noch Geschäfte in dieser Gegend der Stadt habe. Kaum war sie fort als er Nerino aufsuchte, um ihn noch ein wenig zu foppen. „Nun Herr, redete er ihn an, was dünkt euch von der Dame, die ihr mit mir gesehn habt? Glaubt ihr daß sie den Wettstreit mit irgend einer andern zu scheuen brauche? Ist sie schöner als eure Mutter, oder nicht?“ - „In der That, erwiederte jener, sie ist sehr schön, die Natur hätte sie nicht reizender bilden können. Sagt mir doch, ich bitte euch, wer ist sie, und wo wohnt ste?“ - Freund Raimond hatte aber ganz und gar keine Lust es ihm zu sagen, und machte Winkelzüge um seiner Frage auszuweichen. „Ihr wollt mir dies nicht beantworten, wie ich merke, sagte Nerino, so erzeigt wir mindestens den Gefallen, sie mich noch einmal sehn zu lassen.“ - „Ich werde mein mögliches thun, erwiederte der Doctor, kommt nur morgen um dieselbe Zeit hieher, vielleicht kann ich die Dame bereden, wieder einen Spaziergang zu machen.“ -

Am Abend sagte Raimond zu seiner Frau: „Ich hätte wol Lust morgen wieder ein wenig ins Freie mit dir zu gehn, schicke dich also frühzeitig dazu an, und putze dich recht hübsch, hörst du Genobbia, zieh dich so schön und sauber an als möglich, damit du mir Ehre machst.“ - Hatte sich Genobbia gestern schon über ihren Mann gewundert, so konnte sie ihn heute noch viel weniger begreifen, da sie aber wußte, daß mit ihm nicht viel anzufangen sei, erlaubte sie sich keine Einwendung und that am andern Morgen stillschweigend, was ihr befohlen worden.

Nerino hatte ihrer schon eine Weile gewartet als die reizend geschmückte Genobbia mit ihrem Mann in den Garten trat, und kaum erblickte der Jüngling die wunderschöne Frau wieder, die wo möglich noch lieblicher erschien wie das erste mal, als er sich von der höchsten Glut der Liebe ergriffen fühlte. Er wünschte sehnlich sie näher kennen zu lernen, und sobald er sah, daß Raimond sie abermals dem Schutz des Dieners übergeben hatte um seinen Geschäften nachzugehen, eilte er auf ihn zu und bat ihn inständigst ihm nicht länger zu verheelen wer jener Engel von Weibe sei. Raimond wollte ihm aber nicht Rede stehn, er that als müsse er auf das schleunigste zu seinen Kranken, ging lustig und guter Dinge davon und ließ den armen Verliebten da stehn, und sich vor Ungeduld an den Nägeln kauen. Voller Wuth, daß der Doctor ihn so geringschätzig behandelte, rief Nerino als er sich allein befand: „Du willst mir es verbergen wer sie ist, und wo ich sie finde, und dir zum Trotz werde ich’s doch erfahren.“ -

(Die Fortsetzung folgt).




Torquato Tasso’s befreytes Jerusalem
teutsch durch
A. L. Follenius.

Tankred hat mit dem Heiden Argant einen Zweykampf bestanden. Beyde, verwundet, scheidet die Nacht. Am sechsten Morgen drauf soll sich der Kampf erneuern.




Sechster Gesang.
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54.

Es ließ zurück die grausenvolle Fehde
     Bey Allen, so das Kämpferpaar umstunden,
     Ein Graun, ein hohes Staunen, tief in jede
     Brust eingesenkt, was nicht so bald verschwunden.

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_178.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)