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Verschiedene: Wünschelruthe


Feldbrunnen wie eine Schnecke angeschlichen kam. Damit er aber nicht etwa die Steine beim Niedersetzen beschädigte, legte er sie bedächtig neben sich an den Rand des Brunnens. Auf einmal ging es plump, plump, und die Steine lagen im Wasser.

Und Hans was that er? Er kniete nieder, fast in Thränen schwimmend, und dankte Gott, daß er ihm noch das erwiesen hätte, was einzig zu seinem Glücke gefehlt. So wahr Gott über mir lebt, bis heute hat es wol keinen glücklichern Menschen, als ich bin, gegeben! So sprechend trollte er ohne die Steinlast mit frohem Sinne neugestärkt nach Hause.

August Wernicke.




Das Kätzchen und das Mäuschen.
(Fortsetzung).




In der Nacht träumte Helenen, sie stehe zur Morgenzeit vor dem Laden, ihn wieder aufzuschließen, und wie sie hineintrat, saß der Rattenfänger darin auf der Tafel, und spielte die Zitter, er sah sehr schön aus und blickte Helenen verliebt an, sie wollte erschrecken, er sprang aber von der Tafel herunter, umfing sie liebkosend, küßte sie und sagte zu ihr: was wundert’s dich denn, daß ich hier bin? ich habe ja einen Ring von dir am Finger, und das Gewölbe gehört nun mir wie dir, wir wollen ein vergnügtes Leben führen. Helene erwiederte, wo er hindenke, sie sei ja mit Gottfried versprochen, dagegen sagte der Rattenfänger: es hat nichts zu sagen und er soll dir nichts zu Leide thun, Gottfried kommt nicht wieder, wenn du mir treu bist. - Entsetzt fuhr Helene empor und hätte aufgeschrieen, wenn ihr nicht die Nachtlampe das Angesicht der neben ihr schlummernden Mutter erhellt hätte. Sie warf sich lange unruhig hin und her, bis sie wieder einschlief.

Am Morgen nahm sich Helene vor, nicht weiter an den albernen Traum, wie sie ihn nannte, zu denken, sie ging durch die frische gesunde Herbstluft unter den goldenen Bäumen ihres Gärtchens munter nach dem Markte hin, schloß den Laden auf und sah nach der weißen Maus. Ueber das Glasgehäuse gebogen, ward ihr so eigen zu Muth. Wenn sich die Maus bewegte, schlug ihr Herz im Busen rascher hin und her, und wenn die Glocke ihren Ton gab, schien sich der Klang wie ein Blitz durch die Nerven ihres Lebens zu verströmen und bis in die Stirn hinaufzuzucken, langsam vor den Ohren in die Seele hinein zu verklingen. Der Traum der Nacht trat ihr, seines Schreckens entkleidet, vor den Sinn, das rothe Barett, die blitzenden Blicke flammten vor ihr auf, und eine süße Angst hatte sie gefangen, von der sie sich umschlossen fühlte, ehe sie dawider gekämpft. Es war ihr, als sei es nicht bloß Traum gewesen, daß der zauberhafte Fremdling da im Laden gehaust, sie dachte an sein reizend Zitterspiel und an den Blick der es begleitete, und als am Abend die Mutter ihr erzählte, wie Gottfrieds Kätzchen ihr in den Laden nachfolgen gewollt und den ganzen Tag in der Stube unruhig geblieben sei, war Helene recht unmuthig über sich selbst, daß es ihr so wenig zu Herzen ging und es ihr ordentlich lästig war, wie das arme Thier um sie her schmeichelte und zu ihren Füßen saß und schnurrte.

Wie ein unächter Funke, der, statt gelöscht zu werden, in der Seele genährt wird, immer weiter um sich greift und Flamme im inneren Menschen wird: so wuchs auch Helenens Seelenangst und Herzensbeklommenheit mit jedem Tage. Hätte sie der Mutter gleich den Hergang mit dem Rattenfänger erzählt, ganz wie er sich verhalten, so würde sie jetzt weniger schüchtern gewesen seyn, ihr eine Unruhe zu zeigen, die ihr selbst noch halb fremdartig war. So gab sich Helene nur immer mehr gefangen. Der in ihr Inneres listig eingedrungene Geist spiegelte ihr vor, wie schwer es ihr fallen würde, das liebliche Daseyn im freundlichen Laden hier nun bald ganz aufgeben zu müssen, um ein einförmiges Leben in der reizlosen Wohnung Gottfrieds anzufangen; und dann funkelten die Blicke und Töne des räthselhaften Fremdlings ablockend durch Helenens Seelennacht und beleuchteten flüchtig eine andere, fantastische Zukunft. Das Spiel mir der weißen Maus gab ihr mancherlei feenhafte Gedanken und Ahnungen, und wenn sie der möglichen Rückkunft des Fremdlings mit dem scharlachnen Kopfaufsatz nachsann, ward es ihr schauerlich und liebebang zugleich im sonst so stillen und harmlosen Busen. Träumerisch stand sie vor den Käufern im Laden da, vergriff sich oft wenn sie die geforderten Waaren zulangte, hatte kein Auge darauf, wenn unter der Hand manche kleine Naschwaare unbezahlt verschwand, und muste nicht selten von den ehrlichen Leuten an die Annahme der Zahlung gemahnt werden. Wenn die Bekannten im Laden einsprachen, und Helenen also fanden, sagten sie öfters zu ihr: das thut alles Meister Gottfried, daß ihr so sinnig dasteht und verträumt, es ist hoch an der Zeit daß er komme und euch aus dem Laden hole, ihr süßestes Zuckernüßchen; dann wandte sich Helene mehr erblaßend denn erröthend ab, und ihr armes Herz klopfte wie ein Hammer gegen den verschämten Busen.

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_131.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)