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Verschiedene: Wünschelruthe

Natur geit vor Lehre.




Lied.







     Auf der Wies’ ein Weilchen weilet,
Blumen, übermaßen schön,
Schlusselblumen, Veilchen, eilet,
Helft das Liebchen mir erstehn.

5
     Bächlein, wie du hell erklingest,

Lade ein das holde Kind,
Daß du zum Gestehn sie zwingest
Rausche Kühlung süß und lind.

     Schlüsselblum’, schließ auf ihr Herze,

10
Veilchen, zeig im Liebesschrein,

Wie enthüllet süß dem Schmerze
Sie verbirgt die Liebespein.

     Ueberraschet denn, ihr Sterne,
Blickend aus der Himmelsbrust,

15
Ihr Geheimnis, das so gerne

Sie in sich allein gewußt:

     Wie sie nächtlich nicht versäume
Daß ihr Herz mich wiege ein,
Wenn entschlafen holde Träume

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Führten mich zu ihr hinein.
H. S.




Briefe über das neue Theater.




(Fortsetzung).

Nachschrift. Ich habe Nachts noch etwas im Calderon gelesen, es ist doch manches Gute darin, wäret ihr Poeten nur nicht so fremdartig geworden in griechischer spanischer, englischer Leserei, es könnte euch nicht schwer werden, aus solchen Stücken etwas zu bilden, das unsre deutsche Völkerschaft, die ihr bald zu gering bald zu hoch achtet, lebendig anspräche. Aber ihr freut euch nur, wenn ihr mit Hülfe von Silben- und Reim-Teufel etwas zu stande bringt, wie es andren alten oder neuen Völkerschaften beliebt hat, wie es unser Volk liebt ist eine Kleinigkeit für euch, das wollt ihr erziehen, ehe es euch erzogen hat. Ihr müst das nicht übel nehmen, aber es ärgert mich, wenn ich in Euch so viele schöne Talente ungenutzt untergehen sehe, mit denen ich, wenn ich sie besäße, die ganze Welt regieren wollte; wenn ihr nichts dem Volke zu Liebe thut, verlangt ihr doch, daß es Euch lieben, Euer Verdienst anerkennen, Euch reichlich besolden und noch mehr ehren soll. Ich schreibe Ihnen das, um Sie wegen der vielen vergeblichen Arbeit zu trösten, die Sie an den Calderon gewendet haben, das Theater kann Ihnen nichts dafür zahlen, denn er ist nicht aufführbar, vielleicht läßt sich ein Buchhändler damit anführen, der sich eben erst etablirt hat und noch nicht weiß für wen die Bücher gedruckt werden. Ich zahlte gern, es ist mein Ernst, aber die Rechenmeister monieren gleich, wenn für ein Manuscript bezahlt worden, das nicht zur Aufführung gekommen, denn da fehlt eine Rubrik. Würde es nur einmal aufgeführt, auch wenn es total mißfiele, so könnte ich zahlen, darum frage ich an, ob sie Geld und Schande, oder kein Geld und keine Schande wollen, denn fallen müssen beyde Stücke ohne Gnade und Barmherzigkeit.




Zweiter Brief. Der Poet an den Direktor.

Verehrter Herr Direktor! Ich habe den Calderon ohne Dank zurück erhalten, doch zwei gute Dinge in Ihrem Brief

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_093.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)