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Verschiedene: Wünschelruthe


Glockenklänge durch Sturm und Wetter - noch eine freudig bange Stunde und es ist vollbracht. – Da taumelt plötzlich eine lange hagere Gestalt in die Thür, und: ich bin todt! ausrufend, röchelnd in den Armstuhl. – Wie ein Blitzstrahl schlägt der Schreck am friedlichen Goldschmied nieder, und wirft ihn zu Boden; Grimaldi erkennend rafft er sich auf, er stürzt hin zu ihm – starkriechende Essenzen, flüchtige Salze, eingeflößter Wein, alles umsonst, kein Zeichen des Lebens – jetzt reißt er das feuchte Wamms auf, und wie eine dunkle Rosenknospe geschlossen blickt eine Wunde von Grimaldis Brust zu ihm auf – das Leben war getroffen, die Seele frei, geitzig hatte der Körper das warme Blut zurückgehalten.

Wie ein Schlag traf’s den Goldschmied da er die Todeswunde gewahrte, und er schwindelte zurück; das Antlitz halb abgewendet mußte er nach der blutigen Stelle hinstieren, als sei er dort dem Blick der Klapperschlange begegnet; mit den Händen wehrte er krampfhaft ab, weichen konnte er nicht, die Kraft des Willens war gebrochen, wie die Starrsucht, wie ein Blick der Meduse hielt es ihn fest, und seine Pulse stockten; aber das Herz begann bald schneller und mächtiger zu schlagen, gewaltig drängte das Blut durch die Adern daß eine heiße dunkle Röthe plötzlich in den kalten bleichen Wangen aufflammte, es dämmerte ihm vor den Sinnen, die Kniee brachen, er sank nieder. –

Jetzt huschte der blutige Mörder herein, wild mit geschwungenem Dolch; ächzend strebte der Goldschmied nur den wüthenden Blick von sich abzuhalten, der ihm brennend in die Augen stach, – jener aber schob sich näher und näher, grimmiger und immer grimmiger ward der Blick, das scheusliche Gesicht wuchs zur Riesengröße auseinander bis es verrann – doch nun arbeitet still und langsam ein grauser Schatten sich hervor aus dem Boden, der Leichnam zuckt, regt sich, richtet sich auf, die Wunde beginnt zu bluten, zu reden, und schaudernd vernimmt Fazio wie das Blut ihn anklagt, schon fühlt er sich angepackt, schon hingeschleppt vor den finstern Blutrichter und donnernd dröhnt das Urtheil ihm ins Ohr; die Glocken zittern bang wie sein Herz, und wie Todesseufzer wehen ihre Töne um ihn; rings drängt sich die dumpfe lautlose Menge, der feierlich langsame angstschwüle Zug wallt bänglich dem Gerüst zu, das schwarze Arme gierig weit nach ihm ausstreckt. –

Nicht in schnellverschwebenden luftigen Gestalten, nein, in festen glühenden Bildern stellte sich dieses um den Unglücklichen her, dann warf es die fürchterlich überreitzte Einbildungskraft mit noch Entsetzlicherem unter einander – endlich, nur nach gänzlicher Ermattung, traten einzelne Gedanken ruhiger aus dem wahnsinnigen Gewirr hervor. –

(Die Fortsetzung folgt.)




Wanderlieder.
1.
Froher Auszug.




     Ich ziehe so lustig zum Thore hinaus,
Als ob’s ein Spaß nur wär’:
Das macht, es wallt Feinliebchens Bild
Gar helle vor mir her.

5
     Da merk’ ich denn im Herzen bald:

Ich sei dort oder hier,
Ich gehe fort, ich kehre heim,
Ich ziehe doch immer zu ihr.

     Und wer zu seinem Liebchen reist,

10
Dem wird kein Weg zu schwer:

Das läuft bei Tag und läuft bei Nacht
Und ruht sich nimmermehr.

     Und ob es regnet, ob es stürmt,
Mir thut kein Wetter weh,

15
Es hat mein Liebchen mir gesagt

Ein freundliches Ade!




2.
Auf der Landstraße.

     Was suchen doch die Menschen all
Zu Roß und auch zu Fuß?
Das wandert hin und wandert her
Zeitlebens ohn’ Verdruß.

5
     Die haben wohl kein Liebchen heim

Und auch ihr Herz dabei:
Sie sehn mich an und wundern sich,
Daß ich so langsam sei.

     Ach, wer mit jedem, jedem Fuß,

10
Den er setzt in die Welt hinein,

Einen Schritt von seiner Liebsten thut,
Der macht ihn gerne klein.

     Wer hat das Wandern doch erdacht?
Der hätt’ ein Herz von Stein –

15
Und wär’ es heut noch nicht bekannt,

Ich ließ’ es wahrlich sein.




3.
Das Thürmchen in der Ferne.

     Ich muß auf alle Berge steigen,
Die rechts und links am Wege stehn,
Und muß herab von allen Bergen
In weite, weite Ferne sehn.

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_062.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)