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Verschiedene: Wünschelruthe


wie sein Schicksal selbst, das ihn überall an den unsichtbaren Fäden hielt, in seinem Tod gelöst ward.

Spät Abends an dem Tage als er von dem Droste jene abschlägige Antwort erhalten, pocht er in Holzhausen, 2 Stunden weiter, heftig an die Thüre des ersten Hauses am Wege rechts, und als ihm aufgemacht und er gefragt wird, was er wolle, stürzt er leichenblaß und in furchtbarer Angst ins Haus, und bittet um Gottes und aller Heiligen Willen, ihn die Nacht bei sich zu behalten; und auf die Frage, was ihm denn in aller Welt wiederfahren, erzählt er, wie er übers Holz gekommen habe ihn eine große lange Frau eingeholt und ihn gezwungen ein schweres Bund Dörner zu tragen und ihn angetrieben wenn er still gestanden, da hätten sich die Dörner ihm alle ins Fleisch gedrückt, und er hätte an zu laufen gefangen, und sei so keuchend in großer Angst vor’s Dorf gekommen, da sei die Frau fort gewesen, und sie möchten ihn nur die Nacht behalten, er wolle den andern Tag wieder nach Hause. Früh fortgegangen, ist er gegen Mittag auf die Glaserhütte zur Emde gekommen, wo er oft Almosen erhalten, und hat um ein Glas Branntewein gebeten, und als er getrunken, um noch eins, da ist ihm auch das dritte gegeben worden, worauf er gesagt, nun wolle er nach Hause. Wie er aber an den Kiel gekommen, nicht weit von der Stelle, wo er vor 24 Jahren die Schuhe zur Wallfahrt ausgezogen, da hat er eine Leine von einem nahen Pflug genommen, und sich damit an einen Baum gehenkt und zwar so niedrig, daß er mit den Füßen das Herbstlaub unter sich weggescharret hat.

Als ihm einst der Drost die Geschichte mit dem Baum und den Zeichen die die Juden darein geschnitten erzählt, und wie sie bedeuteten, daß er keines rechten Todes sterben solle, hat er geantwortet: O dat sull ek doch nich denken, ek häwwe doch so lange davör Buße daen un häwwe vaste an minen Gloven halen, asse se meck överreen wullen, en abtoschwören.

So hat der Mensch 17 Jahre ungebeugt und ohne Verzweifelung die härteste Sklaverei des Leibes und Geistes ertragen, aber die Freiheit und volle Straflosigkeit hat er nicht ertragen dürfen. Er mußte sein Schicksal erfüllen, und weil Blut für Blut, Leben für Leben eingesetzt ist, ihn aber menschliches Gesetz nicht mehr erreichte, hat er, nachdem er lange Jahre fern umher geschweift, wieder durch des Geschicks geheimnißvolle Gewalt zu dem Kreis, Ort und Boden des Verbrechens zurückgebannt, dort sich selbst Gerechtigkeit geübt.

Zwei Jahre nach seinem Tode ist jener Baum, worein die Juden ihre dunklen Zeichen geschnitten, umgehauen worden. Die Rinde aber hatte diese in den langen Jahren herausgewachsen, daß man ihre Form und Gestalt nicht mehr erkennen konnte.




Lied.

Ich bin lustwandeln gegangen am Meer,
Da hört’ ich klagen einen Knaben so sehr.

„Weh, falsches Glück, wie hast mich betrogen,
Mein Lieb das ist mir hinweggezogen,

O selig, wem in unendlicher Lust
Sein Lieb mag ruhen an seiner Brust!“

Und als der Knabe klagte so sehr,
Da sah ich wohl über das weite Meer.

Und als ich sah über das weite Meer,
Da ward mir das Herz im Busen so schwer.

O selig, wem so das Glück gewogen,
Daß ihm ein Liebchen hinweggezogen!

Im Herzen da nährt sich von Schmerzen die Lust,
Das Lieb das ruht ihm wohl in der Brust.

Zum Meer hinströmet der Sehnsucht Fluß, -
Meine Blicke die schweifen wohl über den Fluß,

Wohl über den Fluß und über die See -
Da bin ich alleine, das thut mir so weh!

Hans auf der Wallfahrt.




Das Märchen vom Schneider der in den Himmel kam.

Ein Schneider kam einst in den Himmel, und in dem großen Saal gefiel es ihm gar wohl, denn ringsum standen prächtige rothsammtene Stühle, darauf saßen die Heiligen, und am Ende des Saals stand ein großer goldner Thron, darauf saß Gott der Vater, und die himmlischen Heerschaaren standen um ihn her. Bald darauf hielt unser Herr Gott einen großen Umzug durch den ganzen Himmel, und alle folgten ihm nach. Nur der Schneider versteckte sich, denn er war neugierig und wollte alles recht genau sehen. Wie er sich nun so umsieht am Thron, der ganz von Gold war und von rothem Sammet, entdeckt er einen Laden darunter, und als er ihn aufmacht sieht er durch ein Fenster gerade auf die Erde. Wie er nun so auf der Erde alles übersieht, wird er einen Schneider gewahr, der ein groß Stück Tuch abreißt und in die Hölle wirft. Darüber ergrimmt er so sehr an seinem Himmelsfenster, daß er dem Gottesthron ein Stuhlbein ausreißt und es hinunter wirft nach dem diebische Schneider. Unterdessen kommt die Proceßion wieder zurück, und da Gott der Vater das fehlende Bein gewahr wird, indem der Thron gar nicht fest steht, merkt er gleich was geschehen ist: „Schneiderlein, Schneiderlein, ruft er, wenn ich jedesmal ein Stuhlbein nach dir geworfen hätte, so oft du ein Stück Tuch in die Hölle geworfen hast, so wäre jetzt kein einziges Stuhlbein mehr im ganzen Himmel.“

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Verschiedene: Wünschelruthe. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 1818, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_060.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)