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Verschiedene: Wünschelruthe

ältere Gelehrte und Kunstkenner, z. B. Johannes Maria Tricaelius[1], Fra Battista Mantoano[2], der Graf Castiglione[3] und Andre angesehen.

Aber außer dieser Statue besaß Isabella noch einen andern Cupido, ebenfalls von Marmor, schlafend auf einer Löwenhaut und mit denselben Attributen des Herkules, der eine Arbeit des Michel Angelo war, und früherhin in der Sammlung des Lorenzo di Pier Francesco de Medici gewesen seyn soll. Von diesem kam er an Cäsar Borgia, Herzog von Valenzia, der ihn, wie wir bereits oben gesehen, der genannten Marchesinn zum Geschenk machte. Ercole Strozzi, Ippolito Capilupi und Andre haben ihn besungen, und ihre Epigramme sind gedruckt worden.

Aus diesen Nachrichten geht hervor, daß der so viel besprochene Cupido des Michel Angelo, der eine Zeitlang in der Sammlung des Cardinals S. Giorgio gewiesen wurde, wenn auch Vasari nichts von seinen Attributen bemerkt, wirklich ein schlafender, auf einer Löwenhaut ruhender, und dem angeblichen des Praxiteles ähnlicher Amor gewesen seyn muß.

Ich sage ausdrücklich: ein dem angeblichen des Praxiteles ähnlicher, weil beide Cupido’s noch im J. 1573 zu Mantua gezeigt wurden, in welchem Jahre der berühmte de Thou sie betrachtete, und sie mit folgenden Worten beschrieb. „Unter den Kostbarkeiten, welche Isabella d’Este, Großmutter der Herzöge von Mantua, eine sehr geistreiche Prinzessin, mit Auswahl und Geschmack in einem prächtigen Cabinet ausgestellt hatte, wies man dem de Thou eine bewundernswürdige Sache. Es war ein schlafender Cupido, verfertigt aus schönem Marmor von Spezzia, (an der Genuesischen Küste) von Michel Angelo Buonarotti, jenem berühmten Manne, dem Mahlerey, Bildhauerey und Baukunst, nach langer Vernachläßigung ihre neue Blüthe verdanken. Als man dem de Foix von diesem Meisterstücke erzählte, wollte er es auch sehen. Alle, welche sein Gefolge ausmachten, und selbst de Thou, der einen unendlich zarten Sinn für dergleichen Kunstwerke hat, betrachteten es aufmerksam von allen Seiten und gestanden einstimmig, daß es weit über die Lobsprüche, die man ihm ertheilte, erhaben sey. Als man sie eine Zeitlang ihrem Erstaunen überlassen hatte, zeigte man ihnen einen andern Cupido, der in eine seidne Decke gehüllt war. Dies antike Monument, das wahre Urbild der vielen Epigramme, die Griechenland einst zu seinem Lobe gemacht hatte, war noch mit der Erde, aus welcher man es gezogen, bedeckt. Bei seinem Anblick gerieth die ganze Gesellschaft in Entzücken, und schämte sich, indem sie es mit dem andern verglich, so vorteilhaft von ihm geurtheilt zu haben. Man gestand, daß die Antike beseelt, das moderne Kunstwerk nur ein Marmorblock ohne Ausdruck sey. Einige Hofbedienten, welche zugegen waren, erzählten darauf folgenden Umstand. Als Michel Angelo, weit offenherziger als große Künstler sonst zu seyn pflegen, der Gräfinn Isabella seinen Cupido zu Geschenk gemacht, aber den andern gesehen hatte, bat er sie auf das inständigste, den antiken immer zuletzt zu zeigen, damit die Kenner durch Vergleichung beurtheilen mögen, wie weit in dieser Gattung von Kunstwerken die Alten über den Neuen stehen“[4].

In dieser Erzählung sind mehrere Irrthümer und Widersprüche, die wir nicht zusammen reimen können.

Erstens. Die Marchesinn erhielt den Cupido vom Herzoge von Valenzia, und nicht von Michel Angelo.

Zweitens. Michel Angelo hatte ihm eine Patina gegeben, um antik zu erscheinen. Er konnte also kein neues Ansehen haben.

Drittens. Eine Arbeit von Michel Angelo, die so zu sagen bereits als eine Antike verkauft worden war, konnte selbst bei Vergleichung mit einem Werke des Praxiteles nicht als ein lebloser Block erscheinen.

Viertens. Warum bedeckte man den Amor des Praxiteles mit einem seidnen Gewande, und reinigte ihn nicht einmahl von der Erde, dem Sande etc.

Und endlich: fünftens, wo fand man ihn? -

Da wir diese Widersprüche nicht lösen können, so wollen wir lieber die ferneren Schicksale beider Statuen untersuchen. Vierzehn Jahre, nachdem sie de Thou betrachtet hatte, wurden

  1. Lexicon Graeco-latinum (Ferrara 1510. fol.) Beym Wort πανδαματωρ sagt er: Omnidomans — interim referam carmen, quod Mantuae cecineram, viso Isabellae Praxitelio cupidine dormitante in Neinei leonis pelle, face extincta, arcu et pharetra ac clave Herculea post terga positis etc.

    Αὐτὸς ὁ οὖλος ἔρως πάντων, ἀλλ’ ὕπνος ἔρωτος, Τούτων Πραξιτελὴς πανδαμάτωρ πέλεται.

  2. De Cupidine marmoreo dormiente ad Elisabetham Mantuae Marchionissam.
  3. In Cupidinem Praxitelis.

    Hic Amor Herculeo sopitus pelle quiescit:
         Pulvinum capiti subdita clave facit.
    Has nunc exuvias praefert, magno Hercule victo:
         Pro pelle et clava nunc gerit ille colum,
    At puorum Veneris somno, et sudore madentem
         Praxiteles Parium transtulit in lapidem.
    Tu vero, hospes, abi, aut leni dic verba susurro,
         Ne somnum excussum forte queratur Amor.
    Ille quidem abjecitque facem, abjecitque pharetram,
         Pro face, pro pharetra, clava timenda tibi est.

    S. Lettere del conte B. Castiglione T. II. p. 310. Padova, 1771. 4.

  4. Historie universelle de Iaq. Aug. de Thou Tom. XI. (ed. de la Haye) p. 14. 1740. 4.
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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_054.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)