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Bezeichnung erhielt, war die zweite Person; weil man bei Verabredungen und Verträgen bald das Bedürfniß fühlte, dem andern zu sagen: das sollst Du thun. Das Ich, als die erste Person, zeugt, (besonders wo es an der Endung des Zeitworts selbst angehängt ist), von höherer Vernunftcultur, und wurde also auch zuletzt bezeichnet. Bei Kindern sehen wir, daß sie immer in der dritten Person von sich sprechen, und sich, als das Subject, von welchem sie etwas sagen wollen, durch ihren Namen ausdrücken, weil sie sich bis zum Begriff des Ich, bis zur Absonderung desselben von allem außer ihnen noch nicht erhoben haben. Ich drückt den höchsten Charakter der Vernunft aus.


Wie eine dritte, zweite und erste Person im Plural gebildet werden konnte, ergiebt sich leicht, wenn der Plural schon vorhanden war.


Die Tempora der Zeitwörter wurden wahrscheinlich auf folgende Art erfunden. Die ersten Zeitwörter wurden blos aoristisch gebraucht: aus dem Aorist konnte leicht das Präsens gebildet werden, oder vielmehr — man mußte den Aorist bald selbst als Präsens verstehen, weil die Bestimmungen bei rohen Nationen sich fast immer auf die gegenwärtige Zeit beziehen. Mehr Mühe mochte wohl die Erfindung der Bezeichnungen für vergangene und zukünftige Zeit kosten. Als man zuerst das Bedürfniß fühlte, Vergangenes und Zukünftiges auszudrücken, gab man wohl die Zeit, in welcher etwas geschehen war, oder geschehen sollte, ganz genau

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Johann Gottlieb Fichte: Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache. Hofbuchhändler Michaelis, Neu-Streelitz 1795, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Sprachfaehigkeit_und_dem_Ursprung_der_Sprache_317.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)