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Mehrheit angezeigt werden; es wollte z. B. einer sagen: es kommen mehrere Löwen! wie sollte er das andeuten? Durch das natürliche Bild einer Heerde: durch Dehnung und Wiederholung des Tons, und dadurch, daß dieser Ton immer fortschallte. Um wie viel oder wenig man den Ton dehnen, oder wie oft man ihn wiederholen sollte, um die mehrere Zahl anzudeuten, war vermuthlich nicht bestimmt. Der Pluralis wurde demnach durch Verlängerung des Wortes ausgedrückt.


Der Pluralis war aber anfangs nur nöthig bei Zeitwörtern, keineswegs bei Substantiven und Adjectiven[1]; denn es verstand sich von selbst, daß auch sie, wenn sie von einem Zeitworte im Plural begleitet wurden, in der mehreren Zahl zu nehmen waren. Der Numerus der Substantiven und Adjectiven ist daher in der Ursprache nicht zu suchen: er ist keineswegs eine durch Nothwendigkeit gefoderte Sprachbestimmung, sondern eine Erfindung, welche das Streben nach Bestimmtheit und Eleganz im künstlichen Vortrage nöthig machte. Aber bei Zeitwörtern war der Plural unentbehrlich.


Die verschiedenen Personen der Zeitwörter wurden ohne Zweifel in folgender Ordnung gebildet. Diejenige Person, welche zuerst in der Sprache bezeichnet wurde, war gewiß die dritte; denn ursprünglich wurde in keiner andern, als in der dritten Person geredet. Man nannte einen jeden bei seinem eigenthümlichen Namen: N. N. solle das thun! Die folgende, welche zunächst der dritten ihre besondere

  1. Vorlage: Ajectiven
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Johann Gottlieb Fichte: Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache. Hofbuchhändler Michaelis, Neu-Streelitz 1795, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Sprachfaehigkeit_und_dem_Ursprung_der_Sprache_316.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)