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hofft, schon zum Voraus im Auge zu haben. Man denke sich in den Gesichtspunkt der Menschen hinein, welche noch überhaupt keine Sprache hatten, sondern sie erst erfinden sollten; welche noch nicht wußten, wie die Sprache gebaut sein müsse, sondern die Regeln darüber erst aus sich selbst schöpfen mußten. Jedem, der dem Ursprung der Sprache nachforscht, muß die Sprache so gut als nicht erfunden sein: er muß sich denken, daß er sie erst durch seine Untersuchung erfinden soll.


Ferner hat man bei allen Untersuchungen über Entstehung der Sprache es auch darinn versehen, daß man zuviel auf willkürliche Verabredung baute; daß man z. B. meinte: da ich ein Buch liber, βιβλον, book u. s. w. nennen kann, so müssen die Nationen einig geworden sein, die eine, dieser bestimmte Gegenstand solle Buch — die andere, er solle liber, u. s. w. heißen. Aber auf eine solche Uebereinkunft dürfen wir wenig rechnen, da sie sich nur mit der größten Unwahrscheinlichkeit denken läßt, und wir müssen daher selbst den Gebrauch der willkürlichen Zeichen aus den wesentlichen Anlagen der menschlichen Natur ableiten.


Sprache, im weitesten Sinne des Worts, ist der Ausdruck unserer Gedanken durch willkürliche Zeichen.


Durch Zeichen sage ich, also nicht durch Handlungen. — Allerdings offenbaren sich unsere Gedanken auch durch die Folgen, welche sie in der Sinnenwelt haben: ich denke und

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Johann Gottlieb Fichte: Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache. Hofbuchhändler Michaelis, Neu-Streelitz 1795, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Sprachfaehigkeit_und_dem_Ursprung_der_Sprache_256.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)