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die Wissenschaften lange nicht alle, die über den Werth der Wahrheit der Gallschen Schädellehre entscheiden müssen; aber eine schöne poetische Lehre ist es, welche die Hieroglyphen der Natur lesen lehrt, die diese mit künstlerischer Hand in die feinsten Knochengewebe schrieb, und wo jeder nackte Schädel, wie ein abgerissenes Blatt aus dem großen Buche der Wesen, in deutlichen Zügen die Geschichte seines Daseyns erzählt.

Was er gefühlt, was er gelitten,
Der Mensch, im Kampf der Leidenschaft,
Die mühsam nur die Pflicht bestritten,
Bey eigner Neigung, starker Kraft,
Das grub Natur, ein Denkmal zu erhalten,
In seines Schädels wechselnden Gestalten.

Frey läßt sie ihre Schöpfung sehen.
Und schlägt der Triebe Lebenslauf,
Die schon an unsrer Wiege stehen,
Vor dem erstaunten Blicke auf.
Von Blüthen aus dem zarten Keim gebrochen
Hat sie die künftge Frucht hier schon versprochen.

Des Willens Freyheit kämpft mit wilden Trieben
In desto reinerem Gewinn;
Der Sieg läßt selbst die schweren Pflichten lieben,
Und die Vernunft erfaßt der Neigung Sinn.
Die Laster fliehn, in solchem Kampf verloren,
Dem Menschen bleibt nur Tugend angeboren!

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Schlippenbach: Malerische Wanderungen durch Kurland. C. J. G. Hartmann, Riga und Leipzig 1809, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:VonSchlippenbachMalerischeWanderungenDurchKurland.pdf/372&oldid=- (Version vom 12.12.2020)